07.10.2010

Ich vereine mich mit den Bünznixen und den Wüstensöhnen, mit den Asphaltcowboys und den Vollmondkavalieren. Ich schließe mich sowohl den Damen als auch den Frauen zum Turnen an, ohne je herauszukriegen, was der Unterschied zwischen ihnen ist, ich praktiziere gepflegtes Trinken zur Erhaltung der Trinkkultur und auch zur Förderung des Gemeinschaftssinns.

Mindestens in Gedanken. Vierzig Vereine stehen mir allein in meinem Dorf zur Verfügung. Wenn jeder Verein 100 Mitglieder hat, und das ist konservativ geschätzt, dann ist jeder in einem Verein. Jeder außer mir.

Du musst beitreten. Sonst gehörst du nicht dazu. 

Du musst, sagt man mir. Du musst beitreten. Sonst gehörst du nicht dazu. Die Lokalzeitung veröffentlicht jede Woche ein Porträt von Neuzuzügern in der Region, und es ist schon so: Sie sind alle als Erstes einem Verein beigetreten. Der freiwilligen Feuerwehr, dem Frauenchor oder eben dem Turnverein. Das sind die beliebtesten. Wenn man der Zeitung Glauben schenken kann.

Eine meiner Nachbarinnen ist im Frauenverein, im Frauenchor, im Jodelverein und in der Trachtengruppe. Im Kreise der letzteren beiden Vereinigungen hat sie gerade Nordamerika und Kanada bereist. Sieben Auftritte in elf Tagen. "Das war schon ein Erlebnis! " Allein hätte sie sich das nie zugetraut. Doch in der Gruppe geht es. "Zusammen ist man stark." Ein anderer Nachbar erzählt vom Turnverein, er macht seit Jahrzehnten mit, seit einer Weile nun bei den Senioren, "aber Achtung, das will nichts heißen, wir sind bloß über 45! " Sie haben einen "super Leiter" und sind generell topfit. "Das Schönste ist die Gemeinschaft", sagt er, das Bier danach und wenn sein Sohn, der mit den Jüngeren turnt und auch mit denen am Tisch sitzt, ihm quer durch den Raum zuwinkt oder gar eine Stange spendiert. "Das sind so Momente", sagt mein Nachbar. "Darum geht es doch."

Gemeinschaft. Darum geht es.

Gemeinschaft. Darum geht es. Der Mensch ist dafür nicht gemacht, allein zu sein, das zeigt sich schon daran, dass er ruhiger schläft, wenn er andere warme, schlafende Menschenkörper, im Notfall tun es auch kleine Tiere, in seiner Nähe spürt. Eine Familie ist Gemeinschaft, natürlich, aber ein Verein ist mehr. Ein freiwilliger, ein bewusster Zusammenschluss Gleichgesinnter. Doch wer ist mir gleichgesinnt? Es ist schon schwer genug, einen einzigen Seelenverwandten zu finden, und dann gleich eine ganze Gruppe? Das scheint mir unmöglich. Doch mein Nachbar schaut streng und mahnt mich, es wenigstens zu versuchen. "Keine Angst", sagt er. "Du wirst es lieben! "

Natürlich habe ich Angst. Angst, dass mich keiner will, dass ich nirgendwohin passe. Dass es den Verein der mir Gleichgesinnten nicht gibt. Ich bilde mir ein, etwas Besonderes zu sein. Auch damit bin ich nicht allein, es gibt bereits einen Verein der Vereinslosen und auch einen Groucho-Club. Nach dem vielzitierten Spruch von Groucho Marx, der keinem Club angehören wollte, der ihn als Mitglied aufnehmen würde. Die Aussage eines "Grouchy", mit der sich jeder schlecht gelaunte Einzelgänger irgendwie identifizieren kann. Das lässt den Schluss zu, dass es den Einzelgänger an sich nicht gibt, ebenso wenig wie den Individualisten. Und tatsächlich, es gibt den Individualistenverein und die Gemeinschaft der Ewigen Einzelgänger.

Ich gebe mir einen Ruck. Ich will es versuchen. Doch wo? Und mit wem? Ich reiße die Seite aus der Gemeindezeitung, auf der die Vereine aufgelistet sind, ich suche am Anschlag im Dorfladen nach neuen Gruppen, denen ich mich anschließen könnte.

Der Dorfladen ist kein Verein.

Ich liebe den Dorfladen, das nur nebenbei. In den Dorfladen gehe ich gerne, wenn ich meine, von der Kante der Welt gefallen zu sein. Zwischen seinen Regalen kann man sich endlos verlieren, ohne ziellos zu wirken. Eine Verkäuferin, die meinen Namen kennt und die vier Naturjoghurt im Glas für mich auf die Seite gestellt hat, bestätigt mir besser als jeder Psychiater, dass es mich noch gibt. Aber der Dorfladen ist kein Verein.

Ich kann nicht singen und nicht turnen, und ich habe weder ein Kind noch eine Mutter, die mich zum Muki-Treff begleiten würden. Zu den Sportschützen kann ich nicht, weil ich viel zu gerne auch mal jemanden erschießen würde, um mich in die Nähe von Waffen zu begeben. Ich sammle nichts, keine Ansichtskarten und keine Kaffeerahmdeckel, nicht einmal Lebenslügen oder abgelegte Lieben. Ich fahre keinen Döschwo und auch nicht mit dem Rad, jedenfalls nicht schnell genug, um bei den Rasenden Rüpeln mithalten zu können.

Ich weiß nicht, was ein altes Stellwerk ist, obwohl ich mit gutem Gewissen behaupten kann, ich fühle mich oft wie eines.

Und so melde ich mich schließlich bei den Silberfischen, die graue Haare tragen, was zufällig auf mich zutrifft. Es gehört kein besonderes Talent dazu, sich die Haare nicht zu färben, und es sagt nicht viel über einen aus. Unter Silberfischen, so stelle ich mir vor, ist alles möglich. Sie treffen sich jeden zweiten Montag um viertel nach drei in der "Kaffeebohne" bei der Bushaltestelle. Dort treffen sich alle möglichen Vereine zu festen Zeiten. Man könnte sich auch einfach an einen Tisch ganz hinten setzen und die Szene erst mal aus sicherer Entfernung beobachten, ein Gefühl für die diversen Gruppen und Grüppchen bekommen.

"Schau doch einfach bei uns vorbei! "

Würde es ein Aufnahmeverfahren geben? "Schau doch einfach bei uns vorbei! ", stand auf dem Anschlag im Dorfladen. Eine Aussage, die ich drehe und wende, als ob aus dieser Formulierung etwas zu schließen sei. Ob diese Frauen mich mögen würden, zum Beispiel.

Als Kind war ich bei den Pfadfinderinnen, streng genommen auch ein Verein, da galt es, diverse Prüfungen zu bestehen, die schlimmste von ihnen war die Taufe. Diese fand meist während eines Zeltlagers statt, mitten in der Nacht wurde man aus dem Schlaf gerissen, mit verbundenen Augen und im Pyjama in ein Brennnesselfeld geschubst, mit grusligen Lauten und glitschigen Gegenständen erschreckt, und am Ende musste man einen scheußlichen Trank trinken. Dabei galt es vor allem, keine Angst zu zeigen. Nur nicht weinen!

Ich stehe lange vor dem Lokal und warte. Ich könnte doch auch nächstes Mal ..., denke ich. Doch dann gebe ich mir einen Ruck und stoße die Tür zur "Kaffeebohne" auf. Ein Glöckchen klingelt, es riecht nach Kaffee. Ich mache einen Schritt auf die Gruppe im hinteren Teil des Lokals zu, und dann noch einen. Auf dem Tisch stehen neben Kaffeetassen auch Proseccogläser und gut gefüllte Aschenbecher. Eine der Frauen lacht sehr laut, und ich mache noch einen Schritt auf sie zu.

"Seid ihr die Silberfische?"

Das Lachen verstummt, die Gespräche, sie schauen auf. Sie wechseln Blicke.

"Du bist zu jung für uns", sagt eine von ihnen schließlich. "Mindestalter 65! "

"Das stand aber nicht auf dem Anschlag! " Meine Stimme klingt weinerlich. Ich kann es selber hören. Vor dreißig Jahren wollten mich die coolen Mädchen, die sich im Klo zum Rauchen trafen, nicht in ihrer Mitte haben und vor zwanzig die selbstbewussten Mütter nicht neben mir am Spielplatzrand sitzen. Und jetzt das! Ich zeige auf meine eindeutig silberglänzenden Locken und rufe mit anklagender Stimme: "Aber ich bin doch wie ihr! "

Unter seinesgleichen aufgehoben sein

Denn darum geht es doch: unter seinesgleichen aufgehoben zu sein. Der Verdacht, dass das nicht möglich sei, erhärtet sich. Nur nicht weinen!

Die Frauen schauen einander an, sie heben die Brauen, jetzt hab ich erst recht keine Chance mehr. Was soll ich meinem Nachbarn sagen?

"Weißt du, wir sind gar nicht offen für neue Mitglieder", sagt eine, etwas mitleidig. "Wir sind eigentlich schon eine super Truppe. Gut aufeinander abgestimmt und so."

"Neue Mitglieder müssen von den bestehenden eingeführt werden! " "Genau! "

Die anderen nicken. Ich stehe mit hängenden Armen. Was soll aus mir werden?

"Warum gründest du nicht eine Juniorsektion", erbarmt sich eine, "Silberfische unter 50! ", und ich denke, das werde ich tun.e

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