Fürsorgliche Vorsehung
Im Buch der Bücher hat alles seine feste Ordnung, seine Dramaturgie, seinen Sinn und Zweck. So scheint es. Doch es passieren auch Dinge, die zunächst nicht zusammenpassen
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
07.10.2010

Es ist alles so wunderbar vorausgesagt. Da geschieht etwas Besonderes, und umgehend heißt es: Das stand doch schon seit Menschengedenken fest. Einem jungen Paar wird eröffnet, dass ein Kind unterwegs ist - und schon heißt es: Das hat bereits vor 700 Jahren der Prophet Jesaja angekündigt (Matthäus, Kapitel 1). Da reitet Jesus auf einem Esel nach Jerusalem hinein (wo ihn Verurteilung und Hinrichtung erwarten), und prompt klingt es: Schon vor 500 Jahren hat der Prophet Sacharja gewusst, dass der zukünftige König auf einem Esel eintreffen wird (Kapitel 21). Das Neue Testament wartet mit Dutzenden solcher Beispiele auf: Alles schon bekannt.

Tatsächlich bekannt - oder sind zwei Ereignisse nur kunstvoll miteinander verknüpft? Was sich in der Bibel, vor allem im Neuen Testament, ereignet, wird rückblickend oft als Erfüllung alter Verheißungen dargestellt. Die Bibel ist literarisch eben kein Überraschungsroman, sondern sie folgt einigen großen Linien. In ihr kommt die Geschichte als Heilsgeschichte zur Sprache, als eine mehr oder weniger fortlaufende Ereigniskette mit einem erwartungsvollen Beginn und einem großen Ende.

Die Beschreibung von Zufällen hätte ihre eigene literarische Absicht, ihre Dramaturgie durchkreuzt - warum sollte sie solche schildern? Wenn alles von Gott vorherbestimmt oder gelenkt wird - welchen Nutzen brächte da die Beschreibung unerwarteter Zwischenfälle?

Warum soll ausgerechnet Simon von Cyrene das Kreuz tragen?

Wenig Platz also für Details, die so gar nicht in die großen Handlungen passen wollen. Doch das bedeutet nicht, dass die Bibel überraschungsarm ist. Zwei Beispiele sollen hier genügen: Als Jesus in seiner Geburtsstadt Nazareth wie üblich in die Synagoge ging, wurde ihm zum Vorlesen das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Er schlug es auf und fing zu lesen an: "Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen . . . " Der "zufällige" Textfund entpuppt sich jedoch sofort als kunstvoll arrangiert. Denn alsbald lässt der Evangelist Matthäus Jesus über sich selbst predigen: "Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren."

Ist es nur ein Zufall, dass im Palast der jüdischen Religionsbehörde, die dem Untersuchungshäftling Jesus gerade den Prozess macht, eine Magd des Hohepriesters den Petrus enttarnt: "Du warst doch auch bei Jesus von Nazareth", was der mit gestellter Entrüstung leugnet. Dummer Zufall oder literarische Spitze? Auch dieser Text hat seine klare Pointe: Feigheit kennt keine Grenzen, die Sache Jesu ist und bleibt durch die Schwäche der Menschen bedroht. Nein, ganz beliebige, zwecklose, "zufällige" Geschehnisse am Rande gibt es nicht. Es ist wie in anderen literarischen Texten: Was zu lesen ist, hat seinen logischen Platz im Ganzen.

Und doch passiert im Neuen Testament auch so etwas: Ein zufällig daherkommender Mann, Simon von Cyrene, muss Jesus helfen, das Kreuz zu tragen. Ein einfacher Feldarbeiter, eben auf dem Weg nach Hause. Warum gerade er? Es bleibt ein Rätsel.

Juden und Christen haben mit Zufällen wenig Probleme

So lebensnah ist die Bibel, dass sie die Bedeutung solcher kleiner Zufälle nicht in Abrede stellt. Dass schlicht alles festgelegt sei, ist nicht ihre Botschaft. Schon deshalb nicht, weil sie dadurch die Freiheit des Menschen, die Offenheit des Lebens einfach aus der Realität herausrechnen würde.

Schaut man sich die einschlägigen Texte genauer an, zeigt sich, dass viele der beschriebenen Menschen mit offenen, irritierenden Situationen souverän umgehen. Aber am Ende bleibt die Grundbotschaft der Bibel klar erkennbar: Gott begleitet die Menschen durch alle Irrungen und Wirrungen, aber er bestimmt nicht jeden ihrer Schritte. Kein Mensch ist Gott gleichgültig. Im christlichen Raum spricht man auch von der Vorsehung nicht im Sinne einer ein für alle Mal gültigen Vorherbestimmung, sondern göttlicher Fürsorge für die Menschen.

Juden und Christen, von denen man doch die Devise erwarten könnte: "Alles folgt einem höheren Plan", haben mit Zufällen wenig Probleme. Die Pluralität des Lebens, die Chancen der Freiheit gehören zum jüdisch-christlichen Glauben und Weltbild einfach dazu. Eine allbestimmende Schicksalsmacht will Gott gar nicht sein. Und letztlich hat selbst seine Zuwendung zu den Menschen etwas "Zufälliges", insofern nämlich Ursache und Maß der Gnade nie berechenbar sind. Nach welchen Regeln ihnen die versprochene Liebe zuteil wird: ein großes Geheimnis.

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Warum soll ausgerechnet Simon von Cyrene das Kreuz tragen? Das ist recht einfach: Weil es dem Simon von Cyrene durch Gott zugefallen (bestimmt) ist.

Zufall bedeutet nämlich, das es uns durch Gott zufällt.

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Es sollte eine neue Bibel geschrieben werden. Es ist z. B. falsch, dass die Eva aus der Rippe Adams geschaffen wurde. Das haben die Menschen damals nur geglaubt, weil es damals normal war, dass die Frau sich unterordnet.
Wir brauchen eine neue Religion. Es gibt keinen persönlichen Gott. Sondern Gott ist identisch mit der Natur. Aber nicht nur mit der uns bekannten Natur. Sondern auch mit der uns (ewig) unbekannten Natur. Der Mensch wurde nicht “erschaffen”, sondern existiert von Natur aus. Das Beten ist sinnlos. Wir brauchen Geistheilung gemäß C. G. Jung oder Rudolf Steiner. Ein Gottesdienst besteht heute eigentlich nur aus Wiederholungen. Wir brauchen eine neue Form der Religionsausübung. Die schamanistischen Heilungen werden in der Zukunft nicht nur zunehmen, sondern explosionsartig zunehmen.

Antwort auf von Religiöser Schamane (nicht registriert)

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Hallo Religiöser Schamane,
dein Kommentar ist zwar schon ein Jahr alt, aber ich möchte trotzdem darauf antworten. Bzw. eher eine Frage stellen: Haben denn die schamanistischen Heilungen zugenommen? Ich habe nichts davon bemerkt. Etliche Bekannte, die sich diesem Glauben angeschlossen hatten, üben ihn nicht mehr aus. Einer ist Sufi, die andere glaubt ein Mischmasch aus diversen Religionen (u.a. auch an Krafttiere) und die dritte ist nur noch mit sich selbst beschäftigt. Zu den restlichen der Gruppe hab ich keinen Kontakt mehr, aber von einer Zunahme dieses Glaubens habe ich nichts mitbekommen. Dass der Gottesdienst in vielen Kirchengemeinden langweilig ist, da hast Du meiner Meinung nach aber recht. Da bräuchte es wirklich neue Wege und neuen Schwung. Kreativität ist gefragt, gepaart mit Liebe, die sich in den Menschen zeigt. Davon gibt es eine Menge guter Beispiele in der Bibel, die man deshalb nicht neu schreiben muss...

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Nicht nur dass die Sekten und die Evankelikalen, die Katholiken und Protestanten, die Orthodoxen und die Liberalen alle, die die Bibel lesen, sie lesen auch alle das heraus, was sie lesen möchten. Was verunsichern könnte, wird überlesen. Das Alte Testament wird zwar auch als Beweis der Vorhersagen benutzt, es wird aber möglichst verschwiegen, mit welchen Greueltaten dort Glaubenpolitik gemacht wurde. Was sie aus dem AT/NT-Gelesenen interpretieren, das glauben sie auch. Folglich hat jeder seinen persönlichen Glauben. Das ist das Dilemma derjenigen (Kirchen), die dann möglichst ein viele Gläubige vereinendes Konzentrat herausfiltern müssen. Mit welchem Recht wird dann postuliert, dass man im Gegensatz zu allen anderen alleine die Wahrheit gefunden hat? Schon dieses beanspruchte Recht ist eine personifizierte Arroganz. Schlimmer noch, mit diesem Anspruch wird auch eine göttliche Unfehlbarkeit beansprucht. Mit dem allein seligmachenden "richtig-Glauben-Anspruch" verdammt man auch alle, die der Arroganz nicht folgen wollen oder können. Gleichsam als von Gott verdammt. Damit wird auch unterstellt (nicht nur Rom, auch die Sekten und Evangelikalen), dass man Gottes Sprachrohr ist. Was für eine Anmassung, wass für eine Lästerung. Kann es nicht noch unchristlicher sein?

Lieber Ockenga,
dein Kommentar ist schon ein Jahr alt. Ich erlaube mir trotzdem, darauf zu antworten. Ich hab nämlich auch mal gedacht, nur die Meinung meiner Kirche sei die richtige. Das war tatsächlich falsch und arrogant. Aber nicht alle Evangelikale Kirchengemeinden denken so. Wenn man zusammen Gottesdienst feiert und in der Bibel liest, dann hält man sich allerdings schon an so einige Grundprinzipien (das höchste Gebot, Nachfolge Jesu, Freiheit vom Gesetz, Abendmal feiern, aus Gnade wird der Mensch gerecht, nicht aus Werken etc.). Und wenn man die Bibel als Gottes Wort für sich definiert, dann verlässt man den Weg der Sauferei, des Diebstahls, der Promiskuität und der Lüge etc. Aber jeder kann kommen, so wie er ist. Es ist Gottes Wort und seine Liebe, die verändert. Wann und wie, das bleibt immer ein großes Geheimnis. Und eine ganz persönliche Erfahrung. Vielleicht hast Du sie schon gemacht oder wirst sie noch machen, ich wünsch Dir auf jeden Fall viel Segen auf deinen Wegen.

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