Tim Wegner
Tim Wegner
07.10.2010

chrismon: Frau Kraus, wie bringen Sie Frau Stachelhaus dazu, sich für Fußball zu interessieren?

Katja Kraus: Ich würde Frau Stachelhaus zu einem Spiel ins Stadion einladen, die Atmosphäre ist fantastisch! Fußball ist Emotion pur, da will jeder wiederkommen. Und Sie, Frau Stachelhaus - wie würden Sie Frau Kraus überzeugen, sich für UNICEF zu engagieren?

 Regine Stachelhaus : Ich erzähle von einer Reise zu UNICEF-Projekten in Angola, die mich motiviert hat bis unter die Haarspitzen: Wir haben eine Schule besucht, in der 50 Prozent der Schüler Mädchen sind. Das klingt normal, ist es aber nicht. Ohne die UNICEF-Aktion "Schulen für Afrika" hätten viele dieser Mädchen wahrscheinlich nie eine Schule von innen gesehen und wären mit 15 schon verheiratet. Die Begeisterung, mit der diese Mädchen und Jungen lernen, ist ansteckend. Nicht nur für die Kinder verbessert sich vieles. Auch die Menschen in den Dörfern rund um diese Schule merken: Es ist gut, wenn alle Kinder in die Schule gehen. Kraus: Spüren Sie die Wirtschaftskrise?

 Stachelhaus : Ja, Firmen werden zurückhaltender. Wir sagen ihnen, dass soziale Verantwortung besonders wichtig ist, wenn die Wirtschaft Vertrauen verloren hat. Was klasse ist: Die vielen Kleinspender, in Deutschland 165 000 Menschen, sind uns treu geblieben; wir haben sie angeschrieben und ihnen erklärt, dass die Auswirkungen der Krise in der Dritten Welt viel heftiger sind als bei uns. Sie haben teilweise 20 Prozent mehr gespendet.

 Neben der Krise mussten Sie auch einen Skandal bewältigen. Wie repariert man ein angekratztes Image? 

Stachelhaus: Indem man zunächst mal die Fakten richtigstellt: Bei UNICEF gab es einen öffentlichen Führungsstreit mit viel Mediengetöse - aber keinerlei Verschwendung von Spendengeldern. Es mangelte an Transparenz. Das haben wir geändert. UNICEF ist gläsern geworden. So gewinnen wir das Vertrauen zurück.

Kraus: Als ich vor sieben Jahren beim HSV anfing, hatte ich das Gefühl, der Verein ist zwar ein Familienmitglied der Hamburger, aber irgendwo in einem Hinterzimmer untergebracht. Uns war wichtig, den Verein wieder zu emotionalisieren, den HSV wieder ins Wohnzimmer zu bringen. Auch wenn es im Fußball noch immer nicht allzu gern gehört wird: Wir mussten unseren Markenkern definieren und die Marke HSV konsequent positionieren. Dazu gehören auch Menschen, die für den HSV stehen. Kinder bekommen die Liebe zu einem Verein nicht mehr in die Wiege gelegt, sie orientieren sich an großen Stars. Rafael van der Vaart war so ein Spieler mit Strahlkraft.

Aber Fußball ist doch kein Produkt.

Kraus: Nicht im klassischen Sinn, aber unter dem Dach der Raute, unseres Vereinswappens, gibt es rund um das Thema Fußball eine ganze Erlebniswelt - wie ein Fußballmuseum, die größte Kinderfußballschule Deutschlands und natürlich das Stadionerlebnis, das die ganze Familie anspricht. Sinn aller Bemühungen ist, unabhängiger vom Einzelergebnis auf dem Platz zu werden.

Ihr Verein hat seine Profiabteilung nicht ausgegliedert, die Mitglieder haben ein großes Mitspracherecht ...

Kraus:Stimmt. Der HSV ist der basisdemokratischste Verein in der gesamten Liga.

Aber Mitglieder wollen Fußball, keine Marke. Wie halten Sie diesen Spagat aus?

Kraus: Es ist eine Schwierigkeit und unsere Stärke zugleich. Wir sind ein mittelständisches Wirtschaftsunternehmen auf Basis einer Vereinssatzung. Wir stehen nicht nur in Konkurrenz mit anderen Vereinen, die teilweise - wie Bayern, Wolfsburg oder Hoffenheim - ganz andere Möglichkeiten haben; wir sind auch im Wettbewerb mit anderen Freizeitanbietern, die Familien ansprechen - von Hagenbecks Tierpark bis zum Alstervergnügen. Stachelhaus: Was erwartet ein Fan, außer dass seine Mannschaft gewinnt?

Kraus: Identifikation. Die Leute wollen sagen können ... Stachelhaus: ...mein Verein!

Kraus: Genau. Mein Verein steht für Erfolg, Leistung, für Emotion, aber auch für Verantwortung. Natürlich sind die Leute stolz, wenn wir Spiele gewinnen - aber ich bin überzeugt, dass es die Bindung verstärkt, wenn ein Fan weiß, dass sein Verein auch etwas für Kinder mit Migrationshintergrund tut. Deshalb haben wir den Hamburger Weg gegründet. Eine Initiative, die sich für soziale Projekte und benachteiligte Menschen engagiert.

Und was sagen Spieler, wenn sie Termine für den guten Zweck wahrnehmen sollen?

Kraus: Na ja, normal stehen sie nicht begeistert Schlange vor meinem Büro. Aber immer mehr Spieler wollen den Hamburger Weg unterstützen; ihr Bewusstsein, ein Vorbild zu sein, wächst. Stachelhaus: Gesichter für Marken haben nur dann wirkliche Aussagekraft, wenn die Menschen dahinter glaubwürdig sind. Bei UNICEF gibt es dafür tolle Beispiele - ich habe kürzlich die Sängerin Shakira getroffen, die regelmäßig ihre Glitzerwelt verlässt, weil sie in kolumbianischen Slums Schulen aufbauen lässt. Kraus: Es ist doch das Gleiche mit Ihren Ehrenamtlichen: Die müssen auch in einem Kurzkontakt die Leute auf der Straße überzeugen. Das geht nur, wenn man mit Herz für die Sache steht. Ein Spieler, der nach dem Tor die Raute küsst, dann aber im selben Jahr den Verein wechselt, vermittelt das nicht.

Ist UNICEF eine Marke, Frau Stachelhaus?

Stachelhaus: UNICEF ist viel mehr. Es ist eine großartige Idee und ein Erfolg. Es begann nach dem Krieg, als sechs Millionen Kinder in Europa hungerten. Die Vereinten Nationen halfen, daraus entstand UNICEF. Vorher im Krieg waren die Spender noch Gegner. Dieser Gedanke hat sich fortgepflanzt, wir sind überparteilich, wir kämpfen für Kinder, egal wo. UNICEF hat Kriege angehalten -Waffenstillstand, damit Kinder geimpft werden können. Das ist eine starke Idee. Aber Marke? Der Begriff ist mir dafür zu klein.

Effizient managen müssen Sie den Laden trotzdem.

Stachelhaus: Ja klar, aber das allein reicht nicht. 8000 Ehrenamtliche geben uns ihre Arbeitskraft. Das Wichtigste, was wir ihnen geben können, ist Vertrauenswürdigkeit; sie müssen sicher sein können, dass sie Kindern wirksam helfen, wenn sie uns helfen.

Angestellte machen, was der Chef sagt; bei Ehrenamtlichen hilft nur Motivation

Ist es etwas anderes, Ehrenamtliche zu führen, als Angestellte bei Hewlett-Packard?

Stachelhaus: Ja. In einer Firma ist es so: Was der Chef anordnet, wird gemacht. Bei Ehrenamtlichen geht es nur über die Motivation. Wer bei minus fünf Grad Grußkarten auf dem Weihnachtsmarkt verkauft, will wissen, ob ich selbst für die Idee stehe. Kraus: Stimmt es, dass ein Headhunter Sie angeworben hat? Stachelhaus: Ich hatte oft Kontakt mit Personalberatern, denen habe ich auch gesagt, dass ich gerne mal was ganz anderes machen würde. Nichts Spektakuläres, ich wäre auch in die Nachbarschaftshilfe gegangen. Als ich den Anruf gekriegt habe, ob ich UNICEF helfen will, dachte ich: Ups, ein Traum wird Wirklichkeit.

Wenn die Spieler mehr voneinander wissen, laufen sie mehr füreinander

Frau Kraus, wie wichtig ist reden, das persönliche Gespräch?

Kraus: Meine Überzeugung ist, dass man sich die meisten Teambildungsmaßnahmen sparen könnte, wenn sich die Menschen einfach nur mehr füreinander interessieren würden. Unsere Spieler kommen aus so unterschiedlichen Kulturkreisen - wenn sie sich damit beschäftigen, wie der andere aufgewachsen ist, was er erlebt hat, entsteht Nähe! Die entsteht auch, wenn man nach dem Spiel im Bus darüber diskutiert, warum der Schiedsrichter Abseits gepfiffen hat. Das habe ich aus meiner aktiven Fußballzeit gut in Erinnerung. Ein Segen, dass es damals noch keine I-Pods mit Kopfhörern gab, die man sich gleich nach dem Spiel auf die Ohren macht.

Stachelhaus: Kann ein Team gewinnen, das technisch perfekt spielt, sich aber nicht füreinander interessiert?

Kraus: Die Spieler haben schon eine Ebene, auf der sie über Alltagsdinge miteinander kommunizieren. Aber ich glaube, wenn sie mehr voneinander wüssten, würde noch eine ganz andere Bindung entstehen. Dann ist man auch eher bereit, die entscheidenden zwei Meter mehr auf dem Platz für den Mitspieler zu machen. Aber vielleicht ist diese Vorstellung allzu romantisch.

Wie bringen Sie den Spielern das Reden bei, zum Beispiel vor der Kamera?

Kraus: Wir sensibilisieren sie dafür, wie schnell sich ein Image bildet. Aber wir wollen vor allem glaubwürdige Spieler und auch unterschiedliche Charaktere.

Stachelhaus: Mir tun die manchmal leid, so ganz junge Spieler, da wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt.

Kraus: Das Fußballgeschäft hat eine Bedeutung, die nur mit Politik zu vergleichen ist. Und selbst dabei gibt es mitunter merkwürdige Einordnungen. Als Matthias Platzeck als SPD-Vorsitzender zurückgetreten ist, hat auch Oliver Kahn eine Pressekonferenz gegeben, um mitzuteilen, dass er auch als zweiter Torwart bereit ist, an der Weltmeisterschaft in Deutschland teilzunehmen. Das hat die Nachricht von Matthias Platzecks Rücktritt auf die untere Hälfte der Titelseiten verdrängt. Manchmal muss man die Bedeutung des Ganzen zurechtrücken: Tatsächlich geht es darum, wer am Ende einer Saison Erster oder Achtzehnter wird, und dabei werden unendlich viele Gefühle geweckt, positive wie negative - aber es wird kein Mensch krank, und es stirbt auch niemand. Stellen Sie sich vor, Sie würden Imageberaterin der Kirche was würden Sie sagen?

Stachelhaus: Vielleicht trifft ja auch auf die Kirchen zu, was für UNICEF gilt: Wichtig sind die Menschen, die ihre Botschaft verkörpern. Als ich in Angola an eine Schule kam, die dort mit UNI-CEF-Unterstützung gebaut wird, kamen mir Franziskaner-Patres mit einer Schaufel entgegen - sie hatten die Latrinen gegraben. Oder als mein Sohn als Säugling im Krankenhaus lag: Da kam eine Diakonieschwester, die wollte mir nicht den Glauben vermitteln, die ist für mich in den OP und hat geguckt, wie es meinem Kind geht. Ich weiß bis heute, wie die hieß - Frau Braun.

Kraus: Mich können Menschen begeistern, die mit Hingabe ihre Sache vertreten. Auch wenn ich der Sache eigentlich nicht viel abgewinnen kann. In meinem Alltag kommen Botschafter der Kirche allerdings nicht vor.

Kinder und Fußball - beides dankbare Themen. Könnten Sie sich auch für vom Aussterben bedrohte Falter einsetzen?

Stachelhaus: Nein, es muss schon mein Thema sein.

Kraus: Ich kann mir nur sehr wenige Themen vorstellen, für die ich Enthusiasmus aufbringen könnte. Ich mache diesen Job mit seiner Emotionalität und all den Unwägbarkeiten sieben Tage die Woche, oft bis 23 Uhr. Diese Kraft kann ich nur für etwas aufbringen, was mir eine Herzensangelegenheit ist. Der Sport hat mich geprägt. Kommunikation und Menschen sind die Themen, die mich am meisten interessieren. Ich emfinde das nicht als Arbeit. Davon bin ich auch bei anderen schnell fasziniert. Bei Balletttänzern zum Beispiel: Sie tanzen jeden Abend, als ginge es um Leben und Tod. Und das für vergleichsweise wenig Geld!

Bis 23 Uhr? Und dann mit den richtigen Leuten Bier trinken?

Kraus: Es heißt ja immer, dass beim Bier spätabends die wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Ich kann problemlos nach Sitzungen nach Hause gehen, ein Glas Rotwein trinken und ein gutes Buch lesen oder über ganz andere Dinge sprechen. Viele Männer haben die Gabe, sich immer wieder über das 3:4 von 1982 und den nicht gegebenen Elfmeter unterhalten zu können. Ich habe meinen Weg gefunden und komme damit gut zurecht.

Stachelhaus: Mir hat bei HP mal einer gesagt: Wer zwölf Stunden hier sitzt, zeigt nur, dass er sich nicht organisiert kriegt. Mir fällt es bei UNICEF viel schwerer, Job und Privatleben zu trennen. Bei HP hatte ich Verantwortung über zwei Milliarden Euro Umsatz. Trotzdem spüre ich heute oft einen größeren Druck. Ich habe diese Währung im Hinterkopf: Zehn Euro sind 80 Polio-Impfungen. Bei einem Fehler wiegen die Folgen schwerer. Zwei Milliarden war viel Geld, aber das war sehr abstrakt. Jetzt geht es um Kinder, um ihre Gesundheit, ihre Zukunft - das ist viel wichtiger. 

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