In dem Dorf Otjivero, hundert Kilometer östlich der Hauptstadt Windhuk entfernt, läuft seit vier Jahren ein Feldversuch für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wegen akuter Finanznöte beim weltweit einmaligen BIG-Modellprojekt (Basic Income Grant) haben die Projektträger jetzt zu Spenden aufgerufen. Das seit vier Jahren laufende Projekt hat bewiesen, dass selbst die geringe Summe von hundert namibischen Dollar (umgerechnet etwa zehn Euro) pro Bewohner und Monat, zu weitreichenden Verbesserungen führte.
epd-bild/imago
Blühende Landschaften
Was passiert, wenn man Menschen ein Grundeinkommen zahlt, einfach so? Die lutherische Kirche wollte es wissen. Und probiert es in einem namibischen Dort aus - mit verblüffenden Ergebnissen
07.10.2010

Joseph Naneb hat einen Traum und erklärt ihn in gebrochenem Deutsch:

"Diese Hauses mut wegkommen, diese Hause wegmachen, da muss alles Steinhause kommen." Er deutet auf die vielen Wellblechbaracken seines Heimatdorfes Otjivero. Bis vor kurzem hat der 62-Jährige noch auf einer der nahen Farmen für einen "Südwester" gearbeitet, einen deutschstämmigen Namibier. Hier hat er nicht nur etwas Deutsch gelernt, sondern auch "Klumpi machen", wie er sagt: Er hat Backsteine gebrannt.

Der Lohn war allerdings dürftig. Manch einer würde vielleicht sogar von Ausbeutung sprechen. Die paar Namibia-Dollar reichten seiner Frau, seinen fünf Kindern und ihm selbst knapp fürs Essen. Doch dann meinte das Schicksal es gut mit Naneb, seiner Familie und seinem ganzen Dorf.

Seit einem Jahr verteilen gerade hier, im Osten Namibias, die lutherische Kirche und andere Institutionen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und das, obwohl der Ort wenige Kilometer abseits vom Trans-Kalahari-Highway mitten im Nirgendwo berüchtigt war für seine hohe Kriminalitätsrate und die bittere Armut. In den Augen vieler Farmer galten die Otjiveroer als faul, zu viel Alkohol tranken sie obendrein. Doch nun bekommt jeder, der keine Rente bezieht, unabhängig von Alter und Einkommen jeden Monat 100 Nami-bia-Dollar, umgerechnet etwa 7,50 Euro, auf die Hand. Und das für insgesamt zwei Jahre.

"Basic Income Grant" heißt das Pilotprojekt, das erste seiner Art weltweit, sagen die Initiatoren. Und sie hoffen: Wenn das Experiment glückt, könnte das Grundeinkommen im ganzen Land eingeführt werden.

Vom ersten Geld hat Joseph Naneb Zement gekauft

Lange Zeit sah Südafrika Namibia als eigene Provinz an und führte seine Apartheidspolitik hier ein. Seither klafft die Schere zwischen Arm und Reich hier so weit wie in keinem anderen Land der Welt. In der Statistik über ungleiche Einkommensverteilung liegt Namibia weltweit auf Platz eins. Nach der Armutsstatistik der Vereinten Nationen gehört Namibia zu den rund 50 ärmsten Ländern der Welt.

Schon 2002 hatte die staatliche Steuerkommission ausgerechnet, dass sich ein staatliches Grundeinkommen rechnen könnte. Aber keiner traute sich, es auch einzuführen. Man könne das Grundeinkommen nicht noch 20 Jahre diskutieren, schimpfte der lutherische Bischof Zephania Kameeta. Man müsse heute etwas gegen die Armut machen. Er schlug ein Pilotprojekt in einem Dorf vor. Die Wahl fiel auf Otjivero. Für die Verteilung des Geldes sorgen Evangelisch-Lutherische Kirche, Gewerkschaftsdachverband und das namibische "NGO Forum", Zusammenschluss aller Nichtregierungsorganisationen.

Im Januar 2008 versammelten sich die 935 empfangsberechtigten Otjiveroer unter dem großen Palaverbaum in der Dorfmitte zur ersten Auszahlung. Seitdem blüht die kleine Ansiedlung auf. Vor vielen Hütten sprießt zartes Grün aus dem kargen Wüstenboden. Zwischen den übermannshohen Kakteen scharren Hühner, am Straßenrand weidet ein Esel. Süßkartoffeln, Zwiebeln, Mais, Rote Bete und Kürbisse, sogar Blumen werden angepflanzt. Früher wurde jeder Cent für den Kauf von Nahrungsmitteln gebraucht, heute ist Geld übrig für Saatgut.

Joseph Naneb hat vom ersten Geld der Familie Zement gekauft. Ein Sack zu 80 Namibia-Dollar reicht für 250 Backsteine, die er zu einem Dollar das Stück verkauft. Zu tun gäbe es genug für ihn. Zu den wenigen Steinhäusern im Dorf zählen Krankenstation, Schule, katholische Kirche, Post, inzwischen auch Nanebs eigenes Haus. Sein ganz besonderer Stolz sind aber nicht die großen Haufen von Backsteinen und die Toilette in seinem Hof. Stolz ist er darauf, dass seine fünf Kinder zur Schule gehen. Er kann sich Schulgebühren und -uniformen leisten. Seine Kinder tragen sogar Schuhe.

Hier treibt der Wind keine Plastikfetzen vor sich her

Und Joseph Naneb plant für die Zukunft. Noch ist seine Ziegelei ein Familienunternehmen. Aber er will expandieren. "Steine werden nachgefragt, also werde ich mehr Leute brauchen, um die Nachfrage in Otjivero zu befriedigen", sagt er. "Ich bin sehr optimistisch, dass ich bald sogar Leute anstellen kann."

Anders als viele erwarteten, verleitet das Grundeinkommen offenbar nicht zur Bequemlichkeit. Zumindest nicht in Otjivero. Schon vor der ersten Auszahlung gründeten die Einwohner ein Komitee, das bei Geldausgaben berät und das durchgesetzt hat, dass die Shebeens, die kleinen Bars, am Zahltag früher schließen.

Viele Bewohner haben durch das Grundeinkommen erstmals überhaupt die Chance zu arbeiten. Die 25-jährige Lena Seibes zeigt stolz ein kleines Bündel Geldscheine. Sie hat einen winzigen Tuck-Shop eröffnet, eine Art Tante-Emma-Laden. Dort verkauft sie Popkorn, Zucker, Süßigkeiten und Tabak - Waren, die sie aus der 70 Kilometer entfernten Stadt herbeischafft. Damit könne sie ihre ausgezahlten 100 Na-mibia-Dollar glatt verdoppeln, erklärt sie. Ihr Mann stellt jetzt Halfter und Geschirre für Esel her.

Vor den Häusern des Dörfchens kochen Frauen, Wäsche flattert im Wind, drei junge Männer schieben einen Wasserkarren über den sandigen Weg. Es gibt Bäcker, Wasserträger, eine Schneiderin, Bauunternehmer, eine Frau produziert Eislollys. Die Menschen aus Otjivero sind kreativ, wenn es darum geht, Erwerbsarbeit zu erfinden. Anders als in vielen afrikanischen Siedlungen liegt kaum Müll herum, keine zerbrochenen Flaschen, keine rostenden Metallstücke oder vergammelten Knochen. Der Wind treibt keine Plastikfetzen vor sich her. Schon im ersten Halbjahr, bis zum Sommer 2008, ist die Kriminalitätsrate um 20 Prozent gesunken. Das durchschnittliche Einkommen der Bewohner hat sich von 200 auf rund 400 Namibia-Dollar verdoppelt. Statt 42 Prozent sind nun nur noch 17 Prozent der Kinder unterernährt. Mehr als doppelt so viele Eltern wie 2007 zahlten im Jahr 2008 Schulgeld. Der Anteil an Schulabbrechern ist von rund 40 Prozent auf fünf Prozent gesunken.

Früher konnten sich viele die Gebühr für die Krankenstation nicht leisten

Zehn Uhr am Vormittag. In der Otjivero Primary School ist große Pause. Die Sonne steht hoch am Himmel. Kinder und Jugendliche in grau-blauer Schuluniform lachen, lärmen, toben und wirbeln zwischen den Gebäuden Staub auf. "Vor dem Grundeinkommen kamen die Kinder in dreckiger Kleidung, viele hatten nicht mal eine Uniform", sagt Schulleiterin Rebecka Jeremia. "Sie kamen sowieso nur, weil es in der Pause für jeden Schüler eine Portion Porridge gab": Maisbrei. Heute gehen die meisten Schüler mittags zum Essen nach Hause.

Noch 2007 sei an geordneten Unterricht nicht zu denken gewesen, sagt Jeremia. "Die Kinder konnten sich schlecht konzentrieren. Immer wieder haben sie sich entschuldigen lassen, um kurz rauszugehen und einen Schluck Wasser zu trinken. In den Pausen hingen sie lustlos draußen herum." Inzwischen sind Jeremias Schützlinge aufgeweckter. Es sind auch deutlich mehr geworden, alle Eltern können sich nun das Schulgeld leisten. Inzwischen wird in zwei Schichten gelernt. Vormittags und nachmittags. Die sechs Klassenräume reichen nicht für einen gleichzeitigen Unterricht der 290 Schüler aus.

Auch in der Krankenstation macht sich bescheiden wachsender Wohlstand bemerkbar. Früher konnten sich viele die vier Namibia-Dollar Gebühr nicht leisten. Leute kamen nur, wenn sie sich gar nicht mehr anders helfen konnten. Oft war es dann für wirksame Hilfe zu spät.

Im Sprechzimmer von Krankenschwester Marith Mbangu riecht es nach einem Mix aus Desinfektionsmittel und Bohnerwachs. Im Nebenzimmer hat sie eine kleine Apotheke eingerichtet, in der sie unter anderem Impfstoffe und Malariamittel aufbewahrt. Es gibt ein Krankenbett für die ganz schweren Fälle und im Behandlungszimmer nebenan sogar ein Sauerstoffgerät. Mbangu hebt ihr schweres Kassenbuch auf den Schreibtisch: "2006 hatten wir 200 bis 300 Dollar an Gebühren eingenommen. Und hier: 2008 mit dem Start des Grundeinkommens sind es plötzlich 1200 Dollar."

Keiner kam um zu betteln - außer einem Hund

In der Klinik darf sie nun antiretrovirale Medikamente ausgeben. Früher mussten die Leute dazu 70 Kilometer bis nach Goba fahren. Viele waren viel zu schwach oder hatten kein Geld für die Fahrkarte. "Jetzt können sich die Leute endlich eine gesunde Ernährung leisten" - eine Grundvoraussetzung für die Behandlung mit diesen Medikamenten. Im Schatten der Klinik hat Marith Mbangu die Kranken einen Gemüsegarten anlegen lassen. Regelmäßig unterrichtet sie Mütter, was sie ihren Kindern zu essen geben sollen.

Claudia Haarmann leitet das Projekt und erhebt regelmäßig Daten in Otjivero. Anfangs, wenn sie mit ihren Kollegen im Dorf Mittagspause machte, tauchten sofort Kinder auf und bettelten. Beim jüngsten Besuch stellte die deutsche Pastorin fest: "Wir haben mitten in der Siedlung unter dem Baum gegessen und es ist keiner gekommen, um zu betteln, außer einem Hund."

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