Ist Ehre ein religiöses Wort?
Mit diesem Begriff wurde viel Schindluder getrieben. Wenn Nationen oder Familien um ihre Ehre fürchten, sind sie zu allem fähig. Da lohnt ein Blick in die Bibel
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
07.10.2010

Es sind Begriffe, die in einer modernen Gesellschaft überwiegend negativ klingen: Familienehre. Nationale Ehre. Es sind Worte, die schon häufiger Schlimmes beschönigt haben: Ehrenwort. Ehrenmord.

Ehre als das Gegenstück zur Schande

Der Begriff der Ehre hat in Deutschland eine lange Abwärtskarriere hinter sich gebracht. Massiv brach das Verständnis für ihn nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus ("Blut und Ehre") ein, danach erneut mit der Studentenbewegung der sechziger und siebziger Jahre. Heute verwundert es viele Menschen, wenn muslimische Familien ihre auf sexuelle Selbstbestimmung pochenden jungen Frauen mit Gewalt zurück in den Familienschoß zwingen wollen, um so die "Familienehre" zu retten. Ehre in diesem Sinn ist das Gegenstück zur Schande: Familienschande, Rassenschande.

Aber es gibt unstrittige Ehren und Ehrungen: Erfolgreiche Sportler erhalten Medaillen, Pokale oder den Lorbeerkranz. Bischöfe bekommen Orden verliehen. Mit einem Kniefall erwies ein Bundeskanzler Willy Brandt in Warschau den Opfern des Holocaust die Ehre; Firmenchefs versprechen ein ehrendes Andenken an verstorbene Mitarbeiter.

Ist Ehre überhaupt ein religiöses Wort? Unbedingt, wenn auch nicht im Sinne einer rigiden Standesehre. In der Weihnachtsgeschichte singen die von der Geburt Jesu begeisterten Engel: "Ehre sei Gott in der Höhe." Und in den Zehn Geboten heißt es: "Du sollst Vater und Mutter ehren." Die Ehre Gottes ist Dreh- und Angelpunkt des Glaubens, sie verändert auch die Menschen und ihr Zusammenleben von Grund auf.

Jeder Mensch hat seine Ehre und Würde von Gott

Nach christlichem Verständnis hat jeder Mensch seine Ehre und Würde von Gott. Wie Gottes Sohn sich vor allem den sozial benachteiligten und politisch verfolgten Menschen zuwendete, so gilt bis in die Gegenwart die Regel: Den Geringsten ist ein besonderes Maß an Ehre zu erweisen (Erster Korintherbrief 12,24). Es fällt auf: Hier ist die Ehre von der sozialen Stellung des Menschen unabhängig. Es ist wie bei dem Grundrecht der Menschenwürde - und also ganz anders als bei dem Ehrbegriff einer Standesgesellschaft. Die Menschenwürde wurzelt im jüdisch-christlichen Glauben darin, dass jeder Mensch Ebenbild Gottes ist: von ihm geschaffen, von ihm weiterhin wahrgenommen und geliebt. Diese Würde kommt jedem Menschen zu, unabhängig von seiner gesellschaftlichen Bedeutung und seinem Verhalten. Auch ein verurteilter Delinquent hat seine unantastbare Menschenwürde.

Portrait Eduard KoppLena Uphoff

Eduard Kopp

Eduard Kopp ist Diplom-Theologe und chrismon-Autor. Er studierte Politik und Theologie, durchlief die Journalistenausbildung des ifp, München, und kam über die freie Mitarbeit beim Südwestrundfunk zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" nach Hamburg. Viele Jahre war er leitender theologischer Redakteur bei dieser Wochenzeitung und seinem Nachfolgemedium, dem evangelischen Magazin chrismon. Seine besonderen Interessengebiete sind: Fragen der Religionsfreiheit, Alltagsethik, Islam, Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Krieg und Frieden.

Es ist ein faszinierender Gott, der sich in seinem Sohn "selbst erniedrigte" und der auf äußere Anerkennung und Ehrbezeugungen verzichtete. Die Zeitgenossen Jesu, erst recht die politischen und religiösen Autoritäten, konnten das bis zuletzt kaum glauben. Jesu unmittelbare Anhänger grübelten häufig und gern über die Rangordnung im zukünftigen Reich Gottes. Die Mächtigen im Lande ängstigten sich vor einem "König der Juden". Noch bei der Kreuzigung nagelten sie über seinem Kopf eine Tafel mit einem entsprechenden Hinweis an. Doch an einem politischen Amt und an Ehrenbekundungen war ihm nicht gelegen.

Die Ehre hat zwei Bedeutungen

Die Ehre, so erklärt die Mannheimer Kulturwissenschaftlerin Dagmar Burkhart in ihrer "Geschichte der Ehre", hat immer zwei Bedeutungen. Einerseits geht es um die innere Einstellung eines Menschen, andererseits um seine öffentliche Würdigung. Hier Sittlichkeit, Gewissen und Tugenden, dort soziales Ansehen, gesellschaftliche Achtung. Das hat, auch wenn es nicht auf den ersten Blick so erscheint, bis heute viel miteinander zu tun. Wenn sich zum Beispiel ein Politiker auf seine Ehre beruft und sich trotzdem etwas Gravierendes zuschulden kommen lässt, ist die Empörung in der Öffentlichkeit groß. So warf der frühere Kieler Ministerpräsident Uwe Barschel mit seinem "Ehrenwort" seine ganze Reputation auf die Waagschale - und verlor. Woran man sieht: Die "Ehre" hat doch noch einen Platz im Bewusstsein moderner Menschen.

"Die Ehre hat wie die Keuschheit den Status des Altmodischen, Überholten", schrieb der amerikanische Religionssoziologe Peter L. Berger 1973. Und doch sei ihre "Wiederentdeckung in der künftigen Entwicklung der modernen Gesellschaft sowohl empirisch plausibel als auch moralischwünschenswert." Mankannergänzen: In religiöser Hinsicht war sie nie bedeutungslos geworden.

 

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