Flucht ins All?
Drei Wissenschaftler reden über Arche-Noah-Raumschiffe, die Religion von Astronauten und die nächsten Millionen Jahre
Lena Uphoff
30.08.2013

chrismon: Ein Physiker, ein Biologe und ein Ingenieur – Sie drei haben gerade beim Wissenschaftlertreffen „Mensch im Kosmos“ darüber geredet, ob und wie einmal Menschen vom bedrohten Planeten Erde in den Weltraum aufbrechen sollen, um sich eine neue Heimat zu suchen oder neue Rohstoffquellen zu erschließen. Hat Gott Ihnen einen Tipp gegeben wie einst Noah vor der Sintflut, angesichts drohender Meteoriteneinschläge mit dem Bau der Arche zu beginnen?

Peter R. Sahm: Ich finde diesen Gedanken sehr gut. Im Zeitalter der Raumfahrt, das nun schon fast fünf Jahrzehnte andauert, haben die Menschen festgestellt, dass der Kosmos viel weiter in ihr Leben hineinwirken kann, als man es bisher allgemein für möglich gehalten hat. Ich erinnere an den berühmten Meteoriten- oder Asteroideneinschlag vor 65 Millionen Jahren, der unter anderem bewirkt hat, dass die Dinosaurier ausstarben und die Säuger sich deshalb umso besser entwickeln konnten. Jeder Schritt hinaus aus der Erdatmosphäre erweitert unser Bewusstsein. Wir müssen mit dem, was da draußen geschieht, rechnen und uns mit kosmischen Einflüssen auf unsere Existenz auseinander setzen. Manches von dem, was wir diskutieren, ist noch ferne Zukunft. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir viel weiter als bisher vorausdenken und -entwickeln müssen, wenn wir wollen, dass die Menschheit überlebt.

Wir haben uns die Erde untertan gemacht, möglicherweise in einem anderen Sinn, als es die Bibel meint. Wir haben den Planeten ordentlich ausgebeutet. Dürfen wir jetzt sagen: Mit der Erde sind wir durch, also fangen wir jetzt mit dem Mars an?

Sahm: Die Rohstofffrage ist wichtig. Andererseits gilt aber auch: Würden wir mit der Erde vernünftiger umgehen, müssten wir noch lange nicht daran denken, Rohstoffe aus dem Weltall herbeizuholen. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es sich auf jeden Fall lohnt, den Mars oder den einen oder anderen Jupitermond zu besuchen und vielleicht auch zu bevölkern oder zu zivilisieren. Besser wäre es allerdings zunächst, wenn die Menschen sich große Raumstationen bauen würden und sich dort einrichteten. Dort können sie genau das realisieren, was sie brauchen. Auf dem Mars ist das sicherlich schwieriger, allerdings auch möglich. Dass der Mensch hinausmuss, dass er sich mit dem Kosmos konfrontieren muss, das ist für mich überhaupt keine Frage.

Hinrich Rahmann: Warum muss der Mensch ins All? Der Biologe verweist bei dieser Frage darauf, dass sich das Verhalten des Menschen aus erworbenen Komponenten (Prägung, Lernen, Gedächtnis) und aus angeborenen Reflexen und Instinkten oder Trieben zusammensetzt. Unter den Instinkten hat – neben der Fortpflanzung, dem Nahrungserwerb, der Rangordnung, der Sprache – das Neugierdeverhalten einen im Vergleich zu den übrigen Wirbeltieren (Fischen, Amphibien, Reptilien, einfachen Säugern) besonders hohen Stellenwert.

Die Befriedigung der Neugierde ist genauso wichtig wie die Befriedigung des Nahrungsbedürfnisses?

Rahmann: Unbedingt. Ohne Befriedigung der Neugierde würde der Mensch ebenso verkümmern wie bei der Unterdrückung der übrigen Instinkte.

Sahm: Die Neugierde ist eine Eigenschaft, die der Mensch offensichtlich durch die Evolution mitbekommen hat. Das heißt: Sie muss Überlebenswert besitzen.

Hans-Joachim Blome: „Unsere Arche Noah ist das Raumschiff Erde“

Hans-Joachim Blome: Ich denke, dass die Raumfahrt wie die Wissenschaft überhaupt von dem Impuls angetrieben wird, dass wir wissen möchten, was jenseits unseres aktuellen Wissens und unserer aktuellen Existenz vorhanden ist. Für mich ist nicht das Raumschiff die Arche Noah. Wir bewegen uns bereits auf einer Arche Noah durch den Kosmos. Unsere Arche ist das Raumschiff Erde. Wir wissen heute, dass die Erde innerhalb unseres Sonnensystems die kosmische Oase darstellt, auf der wir leben können. Wir wissen nicht, ob es die einzige Oase dieser Art ist. Wir kennen inzwischen 120 Sterne, die in ihrer Umgebung Planeten haben. Wir haben noch keine erdartigen Planeten entdeckt. Aber angenommen, wir würden auch in fünfzig Jahren noch keinen solchen erdähnlichen Planeten gefunden haben, dann kann man denken, dass wir vielleicht doch ein besonderer Planet sind. Und wenn die Erde die kosmische Oase in unserer Galaxis ist, dann leite ich daraus ab: Wir müssen diese Oase hegen und pflegen. Wir müssen bescheidener mit unseren Ressourcen umgehen.

Sahm: Die Erde ist das Kreuzfahrtschiff. Die kleinen Raumschiffe sind die Boote, die man ausschickt.

Rahmann: Der Mensch ist einerseits an die Lebensverhältnisse an der Erdoberfläche gebunden. Aber der moderne Mensch ist ebenso in der Lage, sich Räume zu erschließen, die ihm von Natur aus verwehrt sind. Denken Sie an die Menschen, die 300 Meter unter dem Meeresspiegel Pipeline-Röhren zusammenschweißen oder die eingegraben im ewigen Eis der Antarktis über Monate forschen. In den letzten hundert Jahren haben unsere Erkenntnisse mit rasanter Geschwindigkeit zugenommen. Wir erkundeten neue Lebensräume zunächst nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Heute gehen wir planmäßiger vor und erwägen sogar die Möglichkeit, auf dem Mars zu siedeln. Erfahrungen dieser Art müssen gemacht werden. Wenn etwas dabei schief gehen sollte, muss sich die Menschheit eben wieder zurückziehen. Wenn ein Weg weiter nach draußen in den außerirdischen Raum nicht glücken sollte, bleibt nichts anderes übrig, als sich auf das zu beschränken, was dem Menschen auf der Erde gegeben ist. Angesichts schrumpfender Energiereserven ist er jedoch gezwungen, neue Energieformen zu erschließen, auch aus Quellen, die ihm bislang nicht zugänglich sind.

Blome: Trotzdem kommen wir an der Tatsache nicht vorbei, dass wir Menschen im grundsätzlichen Sinne nicht kosmosfähig sind. Unsere Lebenszeit ist begrenzt, selbst wenn wir mit Lichtgeschwindigkeit durchs All fliegen könnten...

Rahmann: Als Individuen sind wir dazu nicht fähig, aber als Menschheit...

Blome: Auch als Menschheit sind wir langfristig nicht kosmosfähig...

Sahm: Im Augenblick noch nicht...

Blome: Ich würde sagen, so, wie wir jetzt sind, sind wir nicht kosmosfähig. Das kann sich natürlich ändern. Aber mir kommt jenseits des Hörsaals, zum Beispiel wenn ich auf einer Ägäis- Insel stehe und mir den Sternenhimmel ansehe, ein Bibelwort aus dem Alten Testament in den Sinn, in dem die Rede ist vom neuen Menschen, vom neuen Himmel, von der neuen Erde. Ich frage mich dann: Was hat der Verfasser dieser Schrift geahnt? Hat er geahnt, dass der Kosmos keine Langzeitperspektive für den Menschen hat? Wenn die Sterne, unter ihnen die Sonne, ausbrennen, ist es – bei aller evolutionären Anpassung – irgendwann nicht mehr möglich, Leben zu haben. Die Energiegrundlagen sind einfach nicht mehr verfügbar.

Rahmann: „Leben“ ist in der Gesamtentwicklung des Kosmos nur eine Zwischenstufe bei der Selbstorganisation der Materie.

Blome: Ich sehe dies aus der Langzeitperspektive der grundsätzlichen Astrophysik, der Kosmologie...

Sahm: Langzeit heißt Milliarden von Jahren...

Blome: Aber dann ist irgendwann Schluss damit, dass noch irgendwie Energie erzeugt wird. Natürlich sind das noch Milliarden von Jahren. Aber das ändert doch nichts an der ganz prinzipiellen Sichtweise. Daraus resultiert für mich immer wieder die Grundfrage: Und was soll das Ganze am Ende? Und dann komme ich zurück auf die Ägäis-Insel und denke: Das wäre ja eine wirklich gute Sache, wenn es irgendwo jenseits dieser deprimierenden Langzeitperspektive der Kosmologie einen Hoffnungsschimmer gäbe. Das macht für mich die speziell jüdisch-christliche monotheistische Denkweise immer wieder nachdenkenswert. Ich komme daran nicht vorbei. Natürlich bin ich durch meine Erziehung damit infiziert. Aber man kann es auch nicht einfach zu den Akten legen und sagen: Na gut, das haben halt ein paar Vieh züchtende Nomaden in Vorderasien erfunden. Für mich ist das eine Spannung, die ich immer wieder denkerisch angehen muss.

Sahm: Wenn Kosmologen und Physiker, die sich mit der Zukunft beschäftigen, immer wieder sagen: Wir gehen dunklen Zeiten entgegen, dann darf man nicht vergessen, dass sie von Milliarden von Jahren sprechen. Wie wäre es, wenn wir uns zunächst mal den nächsten Millionen Jahren zuwenden?
Wir könnten sicher ein paar Erkenntnisse einsammeln, die uns helfen, zunächst einmal die nächste Million zu überdauern.

Rahmann: Diese Zeitspanne möchte ich noch wesentlich weiter reduzieren. Wir müssen uns um dieses Jahrhundert kümmern, allenfalls um die nächsten tausend Jahre. Wenn wir jetzt nicht lernen, uns vernünftig zu verhalten – ich sage dies angesichts intellektueller Fehlentwicklungen, politischer Desaster und anderer Katastrophen –, dann ist der Untergang, wie Stephen Hawking sagt, schon für das Ende dieses Jahrhunderts programmiert.

Was heißt in diesem Sinn vernünftig?

Rahmann: Das heißt, sich in allem lebensfördernd zu verhalten; das gilt gegenüber anderen Individuen, gegenüber dem Volk, gegenüber der gesamten Menschheit und der Mitnatur.

Sahm: Friedrich Schiller sagt: Durch die Achse der Welt gehe die Richtung der Tat. Wir verfügen heute über das Werkzeug der Simulation. Das hilft uns, unsere Taten mit der „Achse der Welt“ in Einklang zu bringen.

Blome: Wir wissen, dass unsere Wirtschaft auf Technologie fußt. Technologie wiederum beruht auf Einsichten und Erkenntnissen der Grundlagenforschung. Carl Friedrich von Weizsäcker nannte die Naturwissenschaften einmal den harten Kern der Neuzeit. Ich denke, dass dieser Gesichtspunkt von der Politik in unserem Lande derzeit sehr übersehen wird. Wir werden angesichts begrenzter Rohstoffe und weltweit wachsender Bevölkerung ohne Wissenschaft und Technik nicht überleben können. Bei der jungen Generation muss die Neugier gefördert und wach gehalten werden. Forschung muss man sich notfalls an anderer Stelle absparen, aber man darf sie nicht kürzen. Denn sie ist unser Lebensnerv. Für mich ist der Satz „Macht euch die Erde untertan!“ der Auftrag zur Forschung.

Rahmann: Das „Untertan-Machen“ wird oftmals missverstanden. Es ist damit gemeint, dass der Mensch zu beachten hat, dass er mit seiner Mitnatur in Übereinstimmung zu leben hat.

Peter R. Sahm: „Reiche Nationen müssen Forschung treiben. Sonst machen sie sich schuldig“

Sahm: Ich möchte noch aus einer anderen Perspektive erklären, warum ich die Neugier, die Forschungswut des Menschen, für unerlässlich halte. Wenn einige Nationen, die es sich leisten können, Geld in die Wissenschaft investieren, entsteht ein technologisches Gefälle, ein so genannter Technologiegradient. Dieses Gefälle ist notwendig. Diejenigen, die es sich erlauben können, müssen forschen. Sie sind es vor allem jenen schuldig, die es aus materiellen Gründen nicht vermögen. Allerdings entspringt für sie daraus die Verpflichtung, die Ergebnisse ihrer Bemühungen den anderen zur Verfügung zu stellen. Zur Lösung weltweiter Probleme benötigen wir eine Avantgarde. Wenn die wohlhabenden Nationen auf Forschung verzichteten, würden sie nicht nur sich selbst schaden, sondern gerade jenen, die der Hilfe bedürfen – denen mit fortgeschrittener Technologie besser und schneller zu helfen ist.

Blome: Wir ziehen nicht in unsere Zukunft ein wie in eine Mietskaserne. Aus der Sicht der modernen Physik, der Quantentheorie, liegt die Zukunft vor uns als ein Feld von Möglichkeiten. Die Erfahrung der Vergangenheit zeigt uns nun, dass wir immer dort etwas sehr Nützliches bekommen, sei es in der Pharmazie oder in der Technik, wo wir mit langem Atem Grundlagenforschung betrieben haben. Manchmal haben Ergebnisse der Wissenschaft dreißig Jahre und länger geschlummert, bis sie mit einem Mal aktuell wurden und halfen, Probleme zu lösen. Forschung kann man nicht ständig an der Frage messen: Wozu ist sie konkret nütze, wer ist der Kunde dafür?

Sind Religionen für Wissenschaftler nützlich und sinnvoll als Leitbildlieferanten?

Rahmann: Der Mensch wird zwar mit einem voll ausgestatteten, funktionell jedoch noch weitgehend „unbeschriebenen“ Gehirn geboren. Das bedeutet, dass sein „Bio-Computer“ erst Stück für Stück mit den für das Überleben notwendigen Informationen gefüttert werden muss. Diesbezüglich beginnt die Erziehung durch Prägung bereits in der vorgeburtlichen Phase. Die weitere Erziehung braucht Ziele, Vor- und Leitbilder. Ohne solche kommt es zu Fehlentwicklungen – Beispiel antiautoritäre Erziehung! Wer setzt solche Leitbilder? Zweifellos können die durch Politiker oder auch durch Religionsgemeinschaften gesetzt werden. Dass derzeit vor allem von politischer Seite aus keine wirklichen Leitbilder vermittelt werden, ist zutiesft zu bedauern und schädlich für unsere Nation. Dass Religion für Wissenschaftler als Leitbildlieferantin fungiert, ist eher selten, kommt jedoch vor.

Sahm: Der Astronaut der Zukunft wird nicht starten, um ein paar Runden um die Erde zu drehen. Er wird hinausziehen – zum Beispiel auf den Mars oder in eine Raumstation –, um neues Leben zu begründen. Der ideale Astronaut der Zukunft wäre aus meiner Sicht jemand, der mit einer geläuterten, befreiten Vorstellung von Religion hinausgeschickt werden könnte. Der gemeinsame Nenner müsste Toleranz und Respekt sein sowie das Einverständnis, dass der Gott, den Christen, Muslime oder Naturreligiöse verehren, der gleiche ist.

Blome: Es gibt zwei Worte im Alten Testament, die für mich von zentraler Bedeutung sind: Sanftmut und Demut. Wir sollten uns vor der Vermessenheit hüten zu meinen, wir könnten die Wahrheit über den Kosmos herauskriegen. Wir wissen erstaunlich viel. Aber alles, was wir erkennen, hat wiederum eine begrenzte Tragweite. Wir werden immer neue präzisere Bilder über den Kosmos entwerfen, aber ob wir uns jemals der Letzterklärung nähern können, bezweifle ich. Wir werden immer in einem rätselhaften Universum leben müssen, sosehr wir es auch mit Mathematik zu durchleuchten versuchen.

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