Spurensuche digital: Frauenhandel gestern & heute

Mit der einer Bertha-Pappenheim-App auf den Spuren der großen Frauenrechtlerin durch Frankfurt spazieren - dieses Ziel soll bald Realität sein. Den Anstoß dazu gab die Künstlerin Elianna Renner mit ihrer Website Tracking the Traffic. Die App wird entwickelt von der Jungen Akademie in Berlin, weitere Kooperationspartner sind das Jüdisches Museum Frankfurt am Main; die 
Seminar- und Gedenkstätte Bertha Pappenheim und das Cornelia Goethe Centrum für Frauenstudien an der Universität Frankfurt.

Rebekka Voß, Professorin der Judaistik an der Goethe-Universität Frankfurt, begleitet die App wissenschaftlich und beschreibt sie als "Projekt an der Schnittstelle von Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft. Mit der geplanten App und den begleitenden Aktionen in der Stadt möchten wir Forschung zu Bertha Pappenheim mit künstlerischen Mitteln in der Gesellschaft sichtbar machen und einem breiten Kreis von interessierten Nutzern zugänglich machen."

Mehr zum Leben von Bertha Pappenheim gibt es hier zu lesen.

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Wie schön, dass diese Themen heute noch Relevanz haben ! Die Bibel ist wohl weitgehend von Männern geschrieben, doch wichtiger noch sind ihre Interpretationen. Frauen sind nicht unschuldig an ihrem Leid. Wenn einer Frau nichts besseres einfällt, als sich zu verkaufen, dann tut sie dies nicht, weil es keine andere Möglichkeit für sie gegeben hätte. Aus meiner Sicht geht es hier ausschliesslich um Kommerz.

Um so mehr gefällt mir die Startseite der Koop. für Gestaltung. Nichts ungewöhnliches, aber ansprechend in der Gestaltung :-) So wird die App sicher begeisterte Konsumenten finden.

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Sehr schön, dass diese mutige, kluge Bertha Pappenheim geehrt wird! Das sollte dann auch bitte mit Sorgfalt getan werden. Wenn in dem Film Bertha Pappenheim (Min 0:14) als "Patientin von Sigmund Freud" vorgestellt wird, dann ist das eine dieser typischen verwirrenden Desinformationen, die es zur Darstellung dieser Behandlung gibt. Der eigentliche Behandler, Josef Breuer, wird unterschlagen!

Es ist die Äußerung von Dora Edinger überliefert, einer Verwandten und Vertrauten Bertha Pappenheims, dass Bertha sich „mit Vehemenz jedem Vorschlag einer psychoanalytischen Behandlung von Personen [widersetzt habe], für die sie die Verantwortung trug, zur großen Überraschung der Leute, die mit ihr zusammenarbeiteten.“ Dies wird als Beleg dafür gedeutet, dass Bertha selbst mit ihrer Behandlung durch Josef Breuer unzufrieden gewesen sei.

Aber in meinen Augen ist das grober Unsinn. Bertha Pappenheim war mit Freuds Gattin Martha bekannt. Nach Marianne Brentzel hatte Berthas Vater für kurze Zeit die Vormundschaft für Martha inne. Bertha dürfte wohl über die Thesen Sigmund Freuds orientiert gewesen sein, z.B. darüber, wie er die Situation einer jungen Frau beschreibt, die mit der ihrigen in gewisser Weise vergleichbar war, im "Bruchstück einer Hysterieanalyse" (1905). Ebenso dürfte sie informiert gewesen sein darüber, was Freud im Schlusskapitel der "Studien über Hysterie" (1895) an Kommentar zu ihrer Behandlung durch Breuer geschrieben hatte: dieser Fall sei für die Theorie psychosomatischer Störungen eigentlich nicht zu gebrauchen, weil Breuer die Frage der Sexualität gar nicht untersucht habe.

Damit dürfte Bertha sonnenklar gewesen sein: Es besteht ein fundamentaler Kontrast zwischen dem behutsamen, respektvollen, fördernden Ansatz Josef Breuers, der sehr genau die unwürdige Behandlung Berthas – gerade als junge Frau – wahrnimmt und sie in ihrer Kritik an den Verhältnissen unterstützt (= Psych-Analyse sensu Breuer), und dem Vorgehen Sigmund Freuds.

Bei Freud ist es nämlich so, dass er ab dem September 1897 die Erfahrung von realer Gewalt (Traumatisierung) geradezu leugnet. Er sieht vielmehr den Ursprung psychischer und psychosomatischer Beschwerden in den unbewältigten ‚Perversionen’ der Betroffenen selbst – in ihrem Hang zu Selbstbefriedigung, Inzest ("Ödipuskomplex") und Homosexualität. Dass sich z.B. die 13-jährige Ida Bauer vor den sexualisierten Übergriffen des Freundes ihres Vaters (mit dessen Ehefrau der Vater ein Verhältnis hat) losreißt und wegrennt, das legt Freud ihr (wörtlich) als krankhaft aus, als "ganz und voll hysterisch". "Bei einem gesunden Mädchen hätte eine Genitalsensation gewiss nicht gefehlt." Freud über den übergriffigen Täter: "Ich kenne zufällig Herrn Z. Ein noch jugendlicher Mann von einnehmendem Äußern." Ebenso bezeichnet es Freud als "Ausdruck krankhafter Rachsucht", dass die 15-jährige ihrer Mutter davon erzählt, dass dieser Herr Z. ihr einen "Liebesantrag" gemacht hätte; "ein normales Mädchen wird, so sollte ich meinen, allein mit solchen Angelegenheiten fertig." So ist es bis heute nachzulesen in dem "Bruchstück einer Hysterieanalyse" (Freud, 1905). Bis heute gilt dies als Fachliteratur, als Text zur Fortbildung von angehenden PsychotherapeutInnen.

Die Übergriffe, die Freud konkret geschildert bekommt – und deren Vorkommen er nicht bezweifelt! – treten für ihn vollkommen zurück gegen die angeblich angeborenen perversen Neigungen, die die NeurotikerInnen wie Ida Bauer oder Bertha Pappenheim – aus seiner Sicht – nicht in den Griff bekommen. Faktisch nimmt Freud damit gerade gegenüber Frauen eine gnadenlos verachtende und entwertende Haltung ein (= Psychoanalüge sensu Freud).

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