Marion Hammer
Verschöpft euch nicht!
Genschere, das klingt so harmlos. Sie kann Leben retten – und unser Leben für immer verändern. Der Forscher und der Ethiker wägen ab
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
18.11.2016

chrismon: Herr Dabrock, kennen Sie Menschen, die mit Hilfe der Gen­schere geheilt werden könnten?

Peter Dabrock: Ja, so jemanden kennt fast jeder. Menschen mit Krebs, Aids, degenerativen, chronischen Erkrankungen, Herzinsuffizienz, manche Formen von vererbbarer Blindheit. Schon lange verfolge ich die lebenswissenschaftliche Forschung. Aber mit der Genschere ist eine Dynamik hineingekommen, die einem Goldrausch gleicht.

Wie erklären Sie dem Patienten die Genschere?

Toni Cathomen: Die Genschere funktioniert wie die Haushaltsschere. Statt Papier wird das Gen geschnitten. Wir kennen die Fehler in einem bestimmten Gen, das zu einer bestimmten Krankheit führt. Und wir wissen genau, wie wir unsere Genschere designen müssen, damit sie diesen Fehler erkennt, das Gen an dieser Stelle aufschneidet, die defekte Sequenz herausnimmt und die Stelle wieder so repariert, dass das Genom normal funktionieren kann.

Endlich verständlich erklärt: So funktioniert die Genschere

Manche sagen: Das ist ein Eingriff in die Schöpfung und etwas grundsätzlich anderes, als einen Arm zu schienen.

Dabrock: Jedes Medikament ist ein Eingriff in die Schöpfung. Für mich ist der Begriff Schöpfung eine Perspektive auf die Natur. Eine, die Verantwortung beinhaltet. Nach 1. Mose 1 soll der Mensch mit der Natur verantwortlich umgehen, wie ein Gärtner. Ich würde deshalb fragen, was die absehbaren Folgen für die Ökosysteme sind, für die ökologische Stabilität, die Biodiversität. Wird das gefährdet, sagt meine Schöpfungswahrnehmung: „Das geht nicht.“

Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen?

Dabrock: Ja, bleiben wir beim menschlichen Genom. Mittlerweile weiß man: Wenn die Großeltern gehungert haben, bewegt das etwas in den Genen und wirkt sich noch auf die übernächste Generation aus, 60 Jahre später! Da muss man doch vorsichtig sein, wenn man ins Erbgut eingreift. Wir können langfristige Folgen nicht abschätzen. Sie zeigen sich manchmal Generationen später.

Cathomen: Ja. Sie sprechen die epigenetischen Effekte an. Da wird durch Umwelteinflüsse ein Gen an- oder ausgeschaltet. Wir müssen noch viel lernen über die Risiken und Neben­wirkungen, bevor wir die Technik in der Keimbahn anwenden können. ­Außerdem ist die Genschere noch nicht präzise genug. Wir würden also zusätzlich zur gewünschten Veränderung im Erbgut noch andere Veränderungen einführen.

"Chancen und Risiken abwägen klappt in Deutschland sehr gut"

Was heißt das?

Cathomen: Schlimmstenfalls würden wir ein Gen ausschalten, das die Tumorentwicklung unterdrückt. Damit würden wir das Tumorrisiko extrem erhöhen! Um die Jahrtausendwende führte man in England und Frankreich Gentherapiestudien mit Kindern durch, die an Gendefekten litten. Einige der Kinder erkrankten nach drei bis fünf Jahren an Leukämie. Genetische Studien zeigten auch, warum. Diesen Zeitraum von etwa fünf Jahren würde ich geben, um die Technologie zu untersuchen und auf Nebenwirkungen zu überprüfen.

Dabrock: Nur fünf Jahre? Genügt das? Müssten wir nicht bei gentechnischen Manipulationen im Menschen bis zur äußersten Sicherheit warten?

Cathomen: Das glaube ich nicht. Wir müssen mehr Erfahrungen gewinnen, und die bekommen wir in der Gentherapie. Wenn wir zum Beispiel Genscheren in Blutstammzellen künftig bei jungen Menschen, Kindern mit schweren Gendefekten anwenden, werden wir viel über epigenetische Effekte lernen. Das Kind entwickelt sich, wird erwachsen, führt ein normales Leben. Und wir können über Jahrzehnte beobachten, wie wir die Epigenetik ändern – ­und was entsteht, wenn die Genschere nicht präzise ist.

Die Eltern entscheiden. Was, wenn das Kind später sagt: „Hätte ich gewusst, was ich erleiden muss, wäre ich diesen Weg niemals gegangen“?

Dabrock: Das zeigt, dass wir bei der Genschere nicht grundsätzlich neue Fragen gestellt bekommen, sondern alte Fragen in ver­schärftem Maße. Fragen wie: Dürfen Eltern für ihre Kinder entscheiden bei medizinischen Eingriffen? Elternverantwortung, Garantenpflicht – das geht über die Genschere hinaus. Einerseits müssen wir überlegen, welche Folgen, welche Risiken sie hat. Auf der anderen Seite sollten wir auch ehrlich mit uns selbst sein und schauen: Was haben wir längst zugelassen? Ein Beispiel: Forscher wollen Schweine, denen man Organe für Transplantationen entnimmt, so manipulieren, dass die Patienten keine Abstoßungs­reaktion zeigen. Die Probleme der Organknappheit wären gelöst. Kritiker sagen: Tierrechte werden verletzt. Aber die meisten Tiere gehen beim Metzger über die Theke oder werden woanders getötet. Liegt da nicht ein größeres Problem als in der Verwendung von Tieren in der Medizin und Forschung?

Cathomen: Es gibt in Europa zwei zugelassene Medikamente, die nach konventioneller Gentechnik hergestellt sind. Das erste für eine extrem seltene Stoffwechselkrankheit. Das zweite für eine sehr seltene Immundefektkrankheit. Hinter dem zweiten steht der Pharmakonzern GSK, der viel Geld in diese Technologie steckt.

Erhöht ein großer Player auf dem Markt den Innovationsdruck?

Cathomen: Die Grundlagenforschung wird aus Steuergeldern ­bezahlt. Aber um ein Medikament in die Klinik zu bringen, ­brauchen wir die Pharmakonzerne als Investoren. Das Regulativ sind die Behörden und auch die Ethikkommissionen in den Universitäten, die darauf schauen, ob ein Therapieansatz noch ethisch vertretbar, ob er technisch umsetzbar ist. Die Chancen-Risiken-Abwägung haben wir in Deutschland sehr gut etabliert.

Mit der Genschere verändertes Saatgut wird nicht als gen­technisch verändert deklariert. Warum?

Cathomen: Die offizielle Bezeichnung für die Genschere ist Crispr-­Cas-Methode. Mit ihr können wir genetische Sequenzen austauschen, ohne Spuren zu hinterlassen. Wenn Sie nicht nachweisen können, dass eine genetische Veränderung stattgefunden hat, wie wollen Sie gesetzliche Verbote oder Regularien durchsetzen?

"Mit Crispr-Cas könnte man einen Teil der Ernährungsprobleme angehen"

Dennoch wird Fremd-DNA eingeführt.

Dabrock: In den nächsten Jahren werden wir noch heftig da­rüber streiten. Herr Cathomen, Sie argumentieren vom Ergebnis her: Man kann nicht nachweisen, dass etwas künstlich verändert ­wurde, also muss man den Eingriff nicht deklarieren. Ein anderer argumentativer Ansatz sagt: Da hat der Mensch mit künstlichen Mitteln eingegriffen, das muss unter Aufsicht gestellt werden. Dieser Ansatz dient in Europa als Grundlage für Gesetze. Paradox wird er, weil man an einer Pflanze nicht erkennen kann, ob sie mit der Genschere verändert worden ist.

Es kommen Pflanzen mit anderen Eigenschaften dabei heraus!

Dabrock: Jetzt müssen wir wieder ehrlich sein. Wir verändern doch längst, wir halten auf geradezu romantische Weise an der traditionellen Züchtung von Pflanzen fest.

Cathomen: Stimmt. Der Mensch züchtet seit Jahrtausenden und wählt Tiere und Pflanzen aus. Heute wird bei der Pflanzen­züchtung mit Bestrahlung und Chemie das Erbgut wahllos verändert. Man sucht so lange, bis man findet, was einem passt. Oft weiß niemand, was die genetische Veränderung ist, die zu diesem neuen Phänotyp führt. Ist das besser als eine gezielte Methode, bei der wir genau wissen, welche Veränderung wir einführen?

Dabrock: Als Theologe würde ich sagen: Man muss vom Ende her denken. Kritische Fragen sind wichtig, aber ein allgemeines Unwohlsein reicht nicht. In der Landwirtschaft hätte es – weltweit betrachtet – dramatische Folgen, wenn man sich grundsätzlich gegen diese Technologie stellt. Mit Crispr-Cas könnte man einen Teil der Ernährungsprobleme angehen. Man wird also womöglich auch schuldig, wenn man die Technologie undifferenziert ablehnt.

Mit der Crispr-Cas-Methode ändert man Arten sprunghaft. Kann sich die Evolution da in einem stabilen Ökosystem vollziehen?

Dabrock: Dass die Natur sich so viel Zeit lässt und sich nur praktische genetische Veränderungen durchsetzen, ist ja sinnvoll.

Cathomen: Wir müssen die Crispr-Cas-Methode natürlich sinnvoll einsetzen. Die Weltbevölkerung wächst und muss auch ­künftig ernährt werden. Das Klima ändert sich. Wir müssen die Pflanzen dem Klima und den Bedürfnissen anpassen. Sonst geht uns irgendwann die Nahrung aus.

Dabrock: Aber wir müssen die technologischen Lösungen einbetten in Kontexte, die auch politisch zu gestalten sind. Die gesellschaftlichen Aufgaben dürfen wir nicht ausblenden. Wenn es jetzt so schnell, so abrupt geht, was heißt das für die Evolution? Steckt darin für Sie keine Gefahr?

Cathomen: Die natürliche Evolution macht Fehler produktiv. Wenn unser Erbgut bei der Fortpflanzung verdoppelt wird, ent­stehen Fehler. Sie werden an die Nachkommen vererbt, manches setzt sich durch, weil es sich als sinnvoll erweist. Und nun? Jetzt hätten wir die Möglichkeit, uns die Welt im biblischen Sinne untertan zu machen. Natürlich liegt darin große Gefahr. Und wir haben noch nicht über die Abhängigkeiten gesprochen, die dabei ent­stehen: Wer beherrscht die Technologie? Wer muss dafür bezahlen, wer kann sie sich leisten? Große Firmen wie Monsanto beherrschen den Saatgutmarkt. Im medizinischen Bereich geht die Schere zwischen Erster und Dritter Welt immer weiter auseinander.

Dabrock: Und ausgerechnet eine deutsche Firma will Monsanto kaufen. Wenn ich davon spreche, die Schöpfung zu achten, dann meine ich, dass Monokultur verhindert werden muss, dass Biodiversität gewahrt wird. Züchtungsprozesse sollten umkehrbar sein. Wir müssen uns weiter kritisch mit den Folgen unseres Tuns auseinandersetzen.

"Wir haben einen guten Embryonenschutz. Aber Deutschland ist keine Insel"

Sind die Mediziner geduldig genug für die nötige Grundlagenforschung?

Cathomen: Heute können wir innerhalb von Tagen das Genom der Patienten durchsequenzieren und die Ursachen für bestimmte Krankheiten suchen. Das tun wir in Patientenstudien. Wenn die Patientengruppe groß genug ist, kann man schnell identifizieren, welches Gen für welche Krankheit ursächlich ist. Im zweiten Schritt überprüfen wir mit der Crispr-Cas-Methode, ob unsere Theorie zur Ursache stimmt. Wir schauen, ob es zum gleichen Effekt führt, wenn wir ein Gen in der Zellkultur gezielt verändern.

Dabrock: Spannend. Das zeigt, wie komplex die medizinische Forschung wird. Das geht nicht bei kleinen Datenmengen. Sie brauchen statistisch relevante Größen. Biobanken, Datensammlungen, Patientendaten, die – anders als früher – relativ leicht deanonymisierbar sind: das Problem von Big Data.

Cathomen: Wir sehen in Freiburg viele Immundefektpatienten. Es sind meistens monogenetische Erkrankungen, bei denen das Gen relativ schnell identifiziert ist. Da müssen die Patientengruppen nicht groß sein. Eine Familie reicht, um nachzuverfolgen, welche Veränderungen vererbt werden und ob das mit der Krankheit zusammenhängt. Aber natürlich brauchen wir Daten. Denken Sie, dass wir in Deutschland nicht sachgemäß damit umgehen?

Dabrock: Doch. Ich kenne keinen Fall einer missbräuchlichen Verwendung von Forschungsdaten. Wenn es doch einmal dazu käme – und vielleicht reicht auch schon der öffentlich diskutierte Verdacht – dann wird es verdammt schwer, das Ruder wieder umzureißen. Die Forschung muss immer wieder beweisen, dass sie vertrauenswürdig ist.

Cathomen: Chinesische Forscher wenden die Crispr-Cas-Methode an nicht lebensfähigen Embryonen an. Wenn die Versuche klappen, ist der gedankliche Schritt klein, sie auch an lebensfähigen Embryonen anzuwenden. Und schon haben wir die Diskussion um das Designerbaby. Das macht mir Sorge. Wir haben ein gutes Embryonenschutzgesetz, aber Deutschland ist ja keine Insel, wir müssen auf unsere Nachbarn gucken. Wir müssen uns positio­nieren und überlegen, wo wir die Grenzen setzen.

Jennifer Doudna, eine der beiden Entdeckerinnen der Crispr- Cas-Methode, erschrak, als ihr ein Kollege mit Crispr-Cas mani­pulierte Viren zeigte, die in Mäusen Lungenkrebs verursachten, wenn sie inhaliert wurden. Ihr wurde klar, dass nur wenig schieflaufen muss, damit das Virus zum Mensch gelangt. Hatten Sie auch mal so einen Schreckensmoment, Herr Cathomen?

Cathomen: Glücklicherweise nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass in unserem Labor so etwas passieren würde. In Deutschland haben wir sehr gute Sicherheitsmechanismen. Wir müssen jedes Projekt, bei dem wir gentechnische Veränderungen vornehmen, bei den Behörden anmelden. Die Aufsicht funk­tioniert sehr gut. Ich glaube nicht, dass in Deutschland irgendein Forscher so ein Schreckenserlebnis haben muss.

Dabrock: Trotzdem ist vielen in der wissenschaftlichen Community noch nicht klar, mit welch gefährlichen Möglichkeiten man es zu tun bekommen kann. Deshalb ist es wichtig, dass in der Wissenschaftsgemeinde ein Bewusstsein geschaffen wird, welch hohe Verantwortung man miteinander und als Einzelner hat.

"Wer böse Absichten hat, braucht noch nicht mal Crispr-Cas"

Ein US-Geheimdienstchef fürchtet den Einsatz von Crispr-Cas durch Diktatoren. Es muss ja kein Unfall sein...

Cathomen: Man kann einfache Viren auch mit einfacheren ­Methoden genetisch verändern. Das Problem ist nicht neu.

Dabrock: Macht es nicht doch einen Unterschied, dass Crispr-Cas leicht anzuwenden, günstig und so effektiv ist? Wird dadurch die Garagenbiologie möglich?

Cathomen: Die Methode ist sehr einfach, ja. Meine Studenten erlernen sie in einer Woche. Aber um ein Virus oder Bakterium zu erzeugen, das sehr infektiös ist und als biologische Waffe eingesetzt werden kann, ist extrem viel Know-how nötig. Das haben weltweit nur wenige Labore. Andererseits: Wer böse Absichten hat, braucht dafür noch nicht mal Crispr-Cas.

Spielen wir Gott, Herr Dabrock?

Was erhoffen Sie sich von einem Ethiker wie Herrn Dabrock, Herr Cathomen?

Cathomen: Als Naturwissenschaftler ist man in eigenen Kreisen unterwegs. Ich wünsche mir von Ethikern, dass sie sich einbringen mit anderen Sichtweisen, dass sie mit uns darüber diskutieren, wo sie die Grenzen sehen. Dass sie uns beratend zur Seite stehen. Genau das macht Herr Dabrock, das tun die Ethikkommissionen, die es an den Universitäten gibt.

Herr Dabrock, was meinen Sie – war Gott zufrieden, als er mit der Erschaffung der Welt fertig war?

Dabrock: Gott ist nie fertig mit der Schöpfung, auch wenn er am siebten Tag ruhte. Gott sei Dank! Es wie Gott zu machen wäre doch was: Nicht fertig zu sein mit der guten Schöpfung, uns aber genau deshalb auch Ruhe zu gönnen.

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