Demo Bundesteilhabegesetz
Demonstranten versammelten sich Ende September vor dem Brandenburger Tor, um gegen das Bundesteilhabegesetz zu demonstrieren.
Foto: picture alliance / dpa
Selbstbestimmung, bitte!
Warum Behindertenverbände das Bundesteilhabegesetz kritisieren
18.10.2016

Die Treppen vor dem Restaurant, fehlende Untertitel im ­Fernsehen und die Banknoten ohne Braille-Angaben – nur einige der kleinen Hürden im Alltag behinderter Menschen, die ­andere nicht wahrnehmen. Große Hürden wie mangelnde Selbstbestimmung in Bildung, Arbeit oder Freizeit versucht die Bundesregierung nun im neuen Bundesteilhabegesetz zu beseitigen: Menschen mit Behinderung sollen gemäß dem Motto „Nichts ohne uns über uns“ in der Mitte der Gesellschaft leben können. Der Gesetzesentwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung – doch üben Behindertenverbände scharfe Kritik.

###autor###So sollen die Betroffenen bisher möglichst zu Hause leben dürfen. Der Entwurf sieht den Grundsatz „ambulant vor stationär“ aber leider nicht vor. Es ist zu befürchten, dass künftig Wirtschaftlichkeit darüber entscheidet, ob ein Mensch zu Hause bleibt oder in ein Heim ziehen muss. Kontrovers ist auch die Frage, in welcher Höhe Behinderte sparen dürfen: ­Im Moment haben sie einen Freibetrag von 2600 Euro, darüber hinausgehendes Vermögen wird angerechnet, etwa wenn das Sozialamt eine Assistenzkraft zahlt.

Zwar soll dieser Freibetrag auf 25 000 Euro und 2020 auf über 50 000 Euro erhöht werden. Man muss jedoch bedenken, dass hiervon auch Altersvorsorge, Bausparvertrag, Ausbildungskonten für die Kinder, Auto oder Reisen betroffen sind. Noch ein Kritikpunkt: das sogenannte Pooling. Mehrere Menschen mit ähnlichen Behinderungen sollen sich künftig eine Assistenzkraft teilen – auch ohne ihre Zustimmung, vermuten die Betroffenen.

Ihnen geht es im Kern darum: Sie wollen nicht, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Zu Recht. Denn zur Un­antastbarkeit der Menschenwürde gehört es, dass der Staat Bedingungen schafft, um ihnen ein würdiges Dasein zu ermöglichen. Wesentlich hierbei ist die Selbstbestimmung. Und die leidet arg, wenn Behinderte fast wie Objekte behandelt ­werden, die bloß Kosten verursachen und möglichst günstig versorgt werden müssen. Selbstbestimmung und Teilhabe können nur funktionieren, wenn man die Betroffenen als Menschen mit eigenen Bedürfnissen wahrnimmt. Dazu muss man sie noch intensiver an der Gesetzgebung beteiligen – und bei allen anderen Entscheidungen, die ihr Leben betreffen.

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