Glockenstreit
Sie sind sehr laut. Sie sind ein Stück Heimat. Ja was denn nun?
Tim Wegner
11.08.2016

Neulich im Allgäu. Freudige Ankunft im Gasthaus „Zum Hirsch“. Wie schön, das Zimmer guckt auf den Kirchturm, dahinter eine sanfte Hügelkette. Wie eine Postkarte! Nachts um eins der Schreck: Die Glocke läutet jede Stunde! Muss das sein? Das fragen sich Menschen überall im Land: Ist das nächtliche Glockengeläut in multikulturellen Zeiten zeit­gemäß? Wir sind doch eh schon so gestresst. Und brauchen unsere Nachtruhe. Also: Abstellen! Wer nachts wissen will, wie spät es ist, kann auf Wecker oder Smartphone gucken.

Ganz so einfach ist es nicht. Wo immer Anwohner sich gestört fühlen von den Glocken, wird hart gerungen um eine Lösung, mit der die Nachbarn leben ‒ und schlafen ‒ können. Genau dieses Ringen muss unbedingt sein. Aktuell in Darmstadt: Ab 1. September schweigen nachts die Glocken der Pauluskirche, gelegen in einer besseren Wohngegend, wo die lärmempfindliche Klientel auch schon mal ein Fußballstadion verhindert hat. Hier verschaffen sich Bürger leichter Gehör als anderswo, man kennt das Phänomen von betuchten Stuttgarter Wutbürgern. Und vom Kölner Rheinauhafen, wo sich die Erwerber der sündteuren Immobilien beschweren, dass es nach Schiffsdiesel riecht. Wer in den Hafen zieht, muss mit Schiffen rechnen, wer neben eine Kirche zieht mit Glocken.

Andererseits ist eine Kirche ein guter Ort, um Kompromisse auszuhandeln. Und zwar für jeden Kirchturm einen anderen ‒ wo es wann bimmelt, bestimmt die „Läuteordnung“, die wird vom Kirchenvorstand festgelegt. Schweren Herzens hat dieser in Darmstadt entschieden: Nachts ist künftig Ruhe. Schade. Dafür wird das „liturgische Läuten“ stärker akzentuiert, mit dem das Kirchenjahr seine Ordnung erhält. Samstagabends um 18 Uhr wird heftiger geläutet, drei Glocken ertönen vor normalen Sonntagen, vier vor Festsonntagen, zwei in der Bußzeit.

Im Allgäu übrigens hatten wir uns gerade an die Glocke gewöhnt, ja wir mochten sie sogar richtig gern. Da ertönte am letzten Urlaubstag samstagnachts das Akkordeon. Schul­jahres­ende, Abiball, Bayern. Gehört das Akkordeon auch zu Deutschland? Stoff für viele Gutachten. Aber wer nur die Postkarte will, muss sie als Tapete kaufen. Leben ist laut.

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Der Begriff "Wutbürger" deutet auf Flüchtigkeit, Gedankenlosigkeit und Anspruchslosigkeit. Vielleicht ist man hierzulande viel zu sehr an Passivität gewöhnt ?
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"Wer alt ist, hat auch Angst vor Neuem, Fremden. Das bestehende soll bleiben, weil es vertraut ist, weil es ohne Lernen bewältigt werden kann. Und der Angstbürger wird leicht ein Wutbürger, der sich gegen alle wendet, die anders leben, anders aussehen, anders glauben.
Wenn man das zuspitzt, wenn man die Erfahrungen der Integrationsdebatte und den Protest gegen Stuttgart 21 verknüpft, dann wird sich die Politik bald Mehrheiten bei einer alten deutschstämmigen Bevölkerung suchen müssen, um türkischstämmigen Kindern die Zukunft zu sichern, was der alten deutschstämmigen Bevölkerung einige Lasten abverlangen würde. Das ist Politik in den Zeiten der demographischen Herausforderung, extrem schwierige Politik. "
Ein Auszug aus einem Spiegelessay von Dirk Kurbjuweit, " Der Wutbürger" .

Ich finde, dass dieser Essay sehr deutlich die psychologischen Differenzen, die zwischen den Generationen herrschen, wiedergibt, und die Atmosphäre, in welcher die Flüchtlingsdebatte wie ein Keil eingedrungen war.
Aus christlicher Sicht empfinde ich das als ungeheuerlich gleichgültig, d.h. dass zwischen den Generationen keinerlei emotionale Bindung zu bestehen scheint.
Die Budenbrocks, Empfehlung des Essayisten, sollten die Alten wieder lesen, um an die Gutbürgerlichkeit anzuknüpfen.
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Gediegen !

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Warum setzen sich die katholische und evangelische Kirche in Deutschland nicht gemeinsam gegen das geplante und teils schon sich vollziehende Kirchenmassaker in Frankreich ein? Hier werden im Akkord historische Kirchen abgerissen - gegen den Willen der Bürger, gegen Denkmalschutzinteressen und unter fadenscheinigsten Begründungen.

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