Resilienz
Wappnen Sie sich gegen den Trendbegriff: Vieles spricht dafür, dass uns der gegenwärtige Resilienz-Hype noch eine ganze Weile beschäftigen wird.
Benedikt Rugar
Fit für die Katastrophe
Das Ich stärken, krisenfest werden: gute Idee! Oft wäre es aber besser, die Ursachen der Krisen abzustellen, sagt Thomas Gebauer
Foto: PR
17.06.2016

An Ratschlägen gegen Existenzkrisen besteht kein Mangel. In der Buchhandlung finden sich reichlich Antworten auf die Frage, wie man am besten auf Verlustängste und Katastrophen reagieren kann: „Resilienz: Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burn-out“, „Resilienz. Wie man Krisen übersteht und daran wächst“, „Resilienz – 7 Schlüssel für mehr innere Stärke“.  

Resilienz? War das nicht ein Fachbegriff aus der Physik, genauer: aus der Stoffkunde? Er beschreibt die Fähigkeit eines Werkstoffs, auf Störungen, die von außen auf ihn einwirken, ­unbeschadet zu reagieren. „Resilire“, lateinisch, auf Deutsch in etwa: abprallen, zurückfedern.

###autor###Resilienz nun in der Erziehungsberatung, beim Schutz gegen Burn-out, in der Traumabehandlung, in den Ratgeberspalten der Yellow Press. Längst arbeiten mit Resilienzkonzepten nicht mehr nur Pädagogik, Psychologie oder Umweltwissenschaften. Resilient sollen auch Gesundheitsdienste in Westafrika, die Absolventen von Trainingskursen für Führungskräfte und Sol­daten sein. Auf Resilienz zielen Katastrophenvorsorge, Ökonomie, Sicherheitspolitik. Resilienz ist zu einem fast schon magischen Wort geworden, zu einer Art Heilmittel gegen nahezu alle Bedrohungen, denen Menschen heute ausgesetzt sind.

Tatsächlich erscheint es nur vernünftig, Vorkehrungen zu treffen, um Störungen von außen überstehen zu können. Nichts spricht dagegen, die Widerstandkraft von Menschen zu stärken und ihnen zu helfen, sich vor Katastrophen besser zu schützen. Und es ist auch wichtig, zu verstehen, warum manche Menschen belastende Erfahrungen besser ertragen können als andere.

Absurd aber wird es, wenn das Bemühen um Resilienz zur Rechtfertigung dafür herhalten muss, nichts mehr gegen die ­Ursachen von Krisen zu tun. Genau das aber ist zunehmend der Fall. Die Idee der Resilienz, aus der in den Umwelt- und Sozialwissenschaften, aber auch in der Architektur anfangs durchaus sinnvolle Konzepte entwickelt wurden, ist in den letzten Jahren mehr und mehr entpolitisiert worden und erhebt gar nicht mehr den Anspruch, Alternativen zur herrschenden Krisendynamik zu denken.      

Enten statt Hühner: Die können schwimmen

Der Trendforscher Matthias Horx hat das ganz offen bekannt: „Resilienz wird in den nächsten Jahren den schönen Begriff der Nachhaltigkeit ablösen.“ In der Idee der nachhaltigen Entwicklung geht es um die aktive Gestaltung menschenwürdiger Lebens­umstände. Ein solches normatives Konzept fehlt der Idee der ­Resilienz: Ihr geht es nur um die Frage, wie sich Menschen und Systeme gegen Störungen schützen können, um die Anpassung an einen offenbar unaufhaltsam, weil angeblich alternativlos voranschreitenden Zerstörungsprozess.

Und so sind heute alle damit befasst, Vorkehrungen für kommende Krisen zu treffen: die Bewohner küstennaher Dörfer in Bangladesch zum Beispiel, die auf Anregung von Entwicklungsexperten von der Hühner- auf die Entenzucht umstellen. Enten können bekanntlich schwimmen und so ein Ansteigen des Meeresspiegels überstehen.

Oder die 50 Topmanager von Versicherungsgesellschaften, Banken, Fluglinien, Immobilienfirmen und anderen asiatischen Industrien, die sich Ende November 2013, unmittelbar nachdem der Taifun Yolanda große Teile der Philippinen verheert hatte, in Manila trafen, um darüber zu beraten, wie sie ihre Unternehmungen widerstandsfähiger gegen Katastrophen machen können.

Oder die Stadtplaner in aller Welt, die bei Entwürfen von Verkehrswegen und öffentlichen Einrichtungen immer schon die Möglichkeit eines Terrorangriffs mitdenken müssen. Die Agrarwissenschaftler, die den Einsatz genmanipulierten Saatguts propagieren, um die Landwirtschaft an die Folgen des Klimawandels anzupassen.

Kämpft jeder nur noch für sich allein?

Auch die Weltgesundheitsorganisation befasst sich zunehmend mit dem Thema und betont die Notwendigkeit, resiliente Gesundheitssysteme auszubauen, ganz offenbar weil sie davon ausgeht, dass sich die sozialen und politischen Umstände, die beispielsweise den Ausbruch von Epidemien wie Ebola begüns­tigt haben, eh nicht werden verändern lassen. Manche Experten setzen noch eins drauf und sprechen bereits von robusten Gesundheitssystemen, in denen noch der letzte Hinweis auf einen sozialmedizinischen Ansatz verschwunden und durch nur noch sicherheitspolitisch motivierte autoritäre Seuchenkontrolle ersetzt ist. 

Derweil üben in Israel Grundschüler in simulierten Terror­anschlägen, Angst durch Atemübungen und positive Gedanken zu bekämpfen, und drängt die US-Armee im Rahmen eines ­„Comprehensive Soldier Fitness“-Programms auf die Schaffung des resilienten Soldaten, an dem traumatische Erfahrungen so gut wie möglich abprallen. Etwa eine Million Soldaten sollen dieses Programm durchlaufen. Es kostet das Pentagon 125 Millionen Dollar. Martin Seligman, Vordenker der positiven Psychologie, hat es mit anderen Fachleuten entwickelt. Die Soldaten sollen lernen, extreme Erfahrungen als persönliche Herausforderung und als Etappe eines persönlichen Reifeprozesses anzusehen, als Erlebnisse, aus denen sie im besten Fall selbstbewusst und stark hervorgehen.

Was machen wir da? Kämpft jeder nur noch für sich allein? Ein höchst eigentümlicher Widerstandsbegriff zeigt sich in ­solchen Resilienz-Konzepten. Wenn sich alle fit für die Katas­trophe machen, wird die Idee einer anderen, einer solidarischen Welt überflüssig. Gerade der inzwischen inflationäre Bezug auf Resilienz lässt erahnen, dass es vielleicht gar nicht um die Stärkung von Widerstandskraft geht, sondern ganz andere Interessen im Spiel sind: legitimatorische und kommerzielle.

Wenn Resilienz eine Eigenschaft ist, die vielleicht nur ein wenig Training beziehungsweise technische Verbesserung verlangt, dann können sich die Regierenden auch mehr und mehr ihrer gesellschaftspolitischen Schutzverpflichtungen ent­ziehen. Ein komplett neues Staatsverständnis kann sich unter solchen Umständen ausbreiten. Eines, das die Verantwortung für die Bewältigung von Armut, die Folgen des Klimawandels, der in der Welt grassierenden Gewalt abwälzt an Familien, Kommunen, Nachbarschaften, Unternehmen und schließlich an jeden Einzelnen.

Es ist höchste Zeit, die Resilienz kritisch zu bedenken

In einer Welt, in der Dinge so gründlich aus dem Ruder laufen, kann es auf Dauer auch keine Stärke geben, die dies auffängt – ­zumindest nicht für alle und am allerwenigsten für Menschen ­ohne Macht und Einfluss. Gut verdienenden Managern mag es vielleicht noch gelingen, private Schutzschilder gegen beruflichen Stress aufzubauen, nicht aber den sozial Ausgeschlossenen, denen jedwede Anerkennung verweigert wird und die zu einem Leben in Armut gezwungen sind. Auch die Folgen des Klimawandels werden die einen stärker treffen als die anderen.

Fraglos ist es möglich, die Resilienz von Fabrikgebäuden, Touris­tenresorts und Investitionen zu erhöhen, aber gilt das auch für Flüchtlinge? Und was ist mit den Hungernden im Sahel? Wer ­ihre Widerstandskraft stärken möchte, müsste die kleinbäuerliche Landwirtschaft stärken. Genau die aber steht dem inter­nationalen Agrobusiness, wenn nicht schon heute, so ganz sicher morgen im Wege.

Vieles spricht dafür, dass uns der gegenwärtige Resilienz-Hype noch eine ganze Weile beschäftigen wird, auch wenn er letztlich von dem furchtbaren Eingeständnis getragen wird, dass Un­sicherheit künftig keine Ausnahme mehr sein könnte, sondern die Regel. Wenn alle davon ausgehen, dass Katastrophen unvermeidbar werden, kann sich das gegenwärtige globale Krisengeschehen umso besser als business as usual fortsetzen.

Es wird höchste Zeit, einen kritischen Begriff von Resilienz zu erarbeiten. Einen, der politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger nicht aus ihrer Verantwortung entlässt. 

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