Lisa, Ester und Marlén haben sich bei HalloFoto!, einem interkulturellen Jugendprojekt in Köln kennengelernt
Foto: Sandra Stein
Të dua shumë – Ich hab dich gern
Deutschland streitet über das "Flüchtlingsproblem". Sie leben interkulturelle Freundschaft: Lisa ist Deutsche, Marlén zur Hälfte Spanierin, Ester kommt aus Albanien, Hala aus Syrien
27.04.2016

Marlén hat einen Steckbrief über Ester geschrieben. Und Ester über Marlén.

Ester und Hala kennen sich aus der Flüchtlingsunterkunft.

Lisa und Ester haben sich gegenseitig gestylt.

Hala und Lisa haben von Anfang an viel geredet.

HalloFoto

Das interkulturelle Fotoprojekt HalloFoto! richtet sich an Mädchen zwischen 13 und 17 Jahren. Unter Anleitung von Pädagogen, Betreuern und Fotografen lernen sich Mädchen aus Flüchtlingsfamilien und deutsche Mädchen kennen. Die Pilotphase fand zwischen November 2015 und Februar 2016 statt. Es entstand aus einer Initiative der Sprachwissenschaftlerin Dr. Lidia Cámara de la Fuente und dem Fotografen Peter Lindemann.

Die Teilnehmerinnen kamen aus zehn Nationen. Der große Erfolg hat dazu geführt, dass die Initiative demnächst in einen Verein mündet.

Die vier kennen sich aus einem interkulturellen Fotoprojekt in Köln. Anfang 2016 haben sich die 15-jährigen Mädchen etwa fünf Mal getroffen, um zu kochen, sich zu stylen, zu fotografieren, sich kennen zu lernen und nebenbei zu fotografieren – währenddessen stritt Deutschland immer heftiger über das „Flüchtlingsproblem“ und die Integrationsfähigkeit der Ankommenden. Insgesamt haben etwa fünfzehn Mädchen aus Kölner Flüchtlingsheimen bei dem Projekt namens HalloFoto! mitgemacht und zehn deutsche. Lisa ist Deutsche, Marlén halb Spanierin, halb Deutsche, Ester kommt aus Albanien, Hala aus Syrien, ihr richtiger Name muss verborgen bleiben, beim Interview kann sie nicht dabei sein. Die vier wollen den Kontakt nicht mehr abreißen lassen, sich weiter treffen, sooft und solange es geht.

Marlén aus Deutschland

Ich bin neugierig auf die Mädchen, die von weit her zu uns kommen, auf ihre Traditionen und Erfahrungen. Ich will die engstirnigen Grenzen überwinden, die in den Köpfen von so vielen Leuten stecken.

Früher habe ich in Spanien gelebt. Seit ich in Deutschland bin, engagiere ich mich in meiner Schule in der Schülervertretung und in einer Projektgruppe gegen Rassismus und Homophobie, um meine Schule zu einem besseren Ort zu machen. Meine Mutter gehört zu den Organisatoren des Freundschaftsprojekts. Ich wollte sofort mitmachen. Es geht mir wie ihr: Ich wollte nicht nur über „das Flüchtlingsproblem“ lesen. Das ist alles so abstrakt. Mein Kopf war voller Berichte, aber eigentlich habe ich mir gar nichts vorgestellt, wie die Menschen sind, wie es ihnen ergangen ist und wie sie in den Unterkünften leben. Deswegen wollte ich selbst aktiv werden.

Ester aus Albanien

Letztes Jahr, Ende Juli bin ich in Deutschland angekommen. Seit fünf Monaten gehe ich in die Realschule. Dort habe ich Deutsch gelernt – und mit meinen Freundinnen. Viele sind beeindruckt, dass ich schon so gut spreche. Manche Mädchen in der Unterkunft beneiden mich.

Das Projekt haben Fotografen begleitet. Dadurch habe ich meine Begeisterung für Fotografie entdeckt. Jetzt mache ich ein Praktikum!

Albanien ist nicht sicher. Es ist kein Krieg. Aber es gibt Krieg zwischen den Menschen. Es ist eigentlich ein wunderbares Land, es hat Naturschätze, alles, was ein kräftiges, wunderbares Land braucht. Aber die Menschen sind sehr gefährlich.

Zuerst war ich sehr optimistisch. Aber dann wurde mir bewusst: Eine fremde Kultur, die Sprache, keine Freunde, ganz allein in die Schule gehen. Ich habe Englisch gesprochen, weil Deutsch mir so schwer fiel, aber alle haben gesagt: Lerne Deutsch, sprich Deutsch, sprich Deutsch, Deutsch, Deutsch. Warum gleich, dachte ich, warum nicht in Ruhe später? Ich war verzweifelt.

Meine Freundinnen helfen mir sehr. Ich bin so dankbar, dass ich sie habe. Zusammen verbringen wir eine unbeschwerte Zeit. Ich vergesse meine Sorgen. Bei ihnen muss ich nicht perfekt sprechen. Wir verstehen uns auch so – und plötzlich fällt es mir viel leichter, besser zu werden. Sie haben mir wieder Hoffnung gegeben.

Lisa aus Deutschland

Es wird so viel Negatives berichtet und wenn etwas passiert, wird es noch negativer gemacht. Das finde ich schlimm. Denn jetzt weiß ich sicher: Das sind Mädchen so wie wir, sie sind offen. Ich habe Mitleid mit ihnen, dass sie von zuhause weg mussten. Mit Ester ist es wunderbar, sie war von Anfang an so offen, dass wir jetzt über alles reden können.

Ich war letztes Jahr für sechs Monate in den USA – ich liebe es, zu reisen und fremde Kulturen kennen zu lernen. Und als eine Freundin mich mit zu dem Projekt nahm, war ich sofort fasziniert.

Über ihre Flucht und ihre Erlebnisse habe ich mit meinen Freundinnen nie geredet, obwohl es mich wahnsinnig interessieren würde. Aber ich merke, wie es sie belastet und will nichts aufrühren. Dafür unterhalten wir uns sehr viel über unsere Familien. Es ist, wie Ester gesagt hat: Wir verbringen eine schöne Zeit miteinander, machen Mädchenkram und freuen uns, wenn die Freundinnen froh sind.

Vor allem am Anfang, als es mit dem Deutschen noch schwieriger war, haben wir uns auf alle möglichen Weisen unterhalten: Sämtliche Sprachen, Mimik, Gestik, Laute, Symbole. Es fiel gar nicht schwer und irgendwann ist es uns auch nicht mehr aufgefallen. Es geht ja nicht darum, perfekt zu sein. Wenn man sich sympathisch findet oder Gemeinsamkeiten entdeckt, versteht man sich komischerweise sofort besser. Hala spricht sehr gut Englisch und scheint alles zu verstehen, was man ihr auf Deutsch sagt. Aber sie ist sehr schüchtern und spricht fast nie Deutsch.

Marlén

Hala ist oft in Gedanken versunken und wirkt dann sehr traurig. Ich versuche sie aufzuheitern. Wenn sie dann lächelt, empfinde ich das als großes Geschenk.

Ich finde richtig gut, was Ester gesagt hat: Wenn jemand es schon hierher geschafft hat, dann sollte er auch Deutsch lernen und die Chancen nutzen, die sich ihm hier bieten!

Natürlich ist es nicht so einfach, dafür zu sorgen, dass es Menschen, die hierher kommen, auch gut geht, dass sie versorgt sind und zu essen haben. Ich verstehe aber gar nicht, warum man so viel diskutiert: Aufnehmen oder nicht. Die Menschen dort leben im Krieg, es geht ihnen furchtbar, sie könnten umgebracht werden. Was gibt es da für Diskussionen? Menschen die so ablehnend reagieren, sind so egoistisch. Sie können sich nicht vorstellen, wie es in den Ländern täglich aussieht. Sie versuchen es nicht einmal.

 

Lisa

Mein Rat für die Erwachsenen? Das sind Menschen so wie wir. Wenn man auf sie zugeht, öffnen sie sich auch. Sie sind in einem anderen Land, da ist es normal, dass man am Anfang etwas zurückhaltender ist. Wenn sich alle mehr mit den Menschen beschäftigen würden, würden sie auch offener werden und der Austausch, die Integration würden viel besser funktionieren.

Ester: Ich bin froh, dass ich euch kenne.

Lisa: Wir haben dich sehr gern!

Marlén: Was heißt das auf Albanisch?

Ester: Ich habe dich lieb – Të dua shumë

Marlén und Lisa: Te dua schoum?

Ester: Ja.

Marlén: Cool, jetzt können wir Albanisch.

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