Und danach, wie geht es weiter? Ein Wissenschaftler erkennt „Tätertypen“
Foto: WELTERS/LAIF
Wird er es wieder tun?
Die Rückfallgefahr bei Sexualstraftätern besser einzuschätzen – daran arbeitet ein Berliner Wissenschaftler ­
Tim Wegner
20.04.2016

chrismon: Haben Sie mit Ihrer Arbeit schon eine Vergewaltigung verhindert?

Jürgen Biedermann: Hoffentlich! Ich helfe der Zentralstelle „SPREE“ bei Rückfallprog­nosen. Das ist eine Fachdienststelle im Landeskriminalamt Berlin, die sich um rückfallgefährdete Sexualstraftäter kümmert.

Wie helfen Sie als Psychologe?

Ich habe ein System erarbeitet, mit dem sich Sexual- und Missbrauchsstraftäter katego­risieren lassen. Meine These ist: Rückfallprognosen sind aussagekräftiger, wenn wir Tatverhalten und Tatmerkmale berücksichtigen.

Tatverhalten, Tatmerkmale – was ist das?

Für meine Doktorarbeit habe ich die Kriminalakten von über 1000 Sexualstraftätern studiert, die zwischen 1994 und 2001 eine Tat begangen haben. Mein Klassifikationssys­tem beruht auf 16 Merkmalen, die bei den Delikten wichtig waren, etwa: Kannten Täter und Opfer sich? Hatte der Täter eine Waffe?

Warum sind diese Fragen so wichtig?

Bei Verbrechen liegt die Frage nahe: „Warum hat der das getan?“ Aber die Frage nach dem Wie ist oft viel ergiebiger. Frage ich: „Warum haben Sie die Vergewaltigung begangen?“, sagt der Täter vielleicht: „Ich war frustriert und in einer Ausnahmesituation.“ Eine Wie-Frage wäre: „Wenn Sie in einer Ausnahme­situation waren – woher hatten Sie dann die Coolness, an eine Maskierung und eine Waffe zu denken?“ Maskierung, Bewaffnung – das sind alles Tatmerkmale, auf denen die Täterklassifikation beruht.

Welche Tätertypen gib es?

Ich habe acht Täterklassen identifiziert. Eine davon enthält den Klischee-Tätertypen, der einer Joggerin auflauert. Aber die größte Gruppe sind mit 22 Prozent die Täter, die ­ihr Opfer schon kannten und es in privaten ­Räumen mit Gewalt zum Sex zwingen.

Welcher Tätertyp ist am gefährlichsten?

Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Es gibt den Typus von Tätern, der vor fremden Kindern sogenannte Nicht-Kontakt-Handlungen begeht und sein Genital zeigt. Dieser Typus hat eine hohe Rückfallquote von rund 40 Prozent. Allerdings wiegt das Delikt ­weniger schwer, es gibt keinen Körperkontakt mit den Opfern. Ein Typus von Vergewaltigungstäter umfasst sieben Prozent aller wissenschaftlich untersuchten Sexualstraftäter. Er kontrolliert seine Opfer stark mit Gewalt und fordert sehr intensive sexuelle Handlungen. Er weist ebenfalls eine erhöhte Rückfallquote auf – aber seine Taten wiegen viel schwerer. Im Gesamtdurchschnitt  kommt es bei 17 Prozent aller Sexualstraftäter innerhalb von zehn Jahren nach Haftende zu erneuten Delikten.

Wissen wir in zehn Jahren, wer Täter wird?

Nein. 80 Prozent der Sexualstraftaten werden von Leuten begangen, die der Justiz nicht als Sexualstraftäter bekannt sind. Da hilft keine Prognose. Aber es ist trotzdem wichtig, das Tatverhalten zu studieren. Daraus lassen ­sich Muster ablesen, vor denen wir warnen können. Auch aus der Haft entlassene Täter haben Persönlichkeitsrechte. Sie auf pauschalen Verdacht zu observieren, wäre unangemessen und teuer.

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