Christine Rösch
Zu öde, der Speckgürtel!
Vier Zimmer, Küche, Bad, mitten in der Stadt: ein Traum für eine junge Familie. Lisa Seelig fragt: Wer soll das bezahlen können?
Foto: Andreas Labes
24.03.2015

Menschen werden weicher, wenn aus ihnen Eltern werden. So heißt es. Zumindest nach meiner Erfahrung trifft es das nicht so ganz. Ich würde eher sagen: Viele von ihnen werden irgendwie empfindlicher, ein bisschen dünnhäutiger. Scharfäugiger. Auf einmal nehmen sie ihre Umgebung anders wahr.

Das gilt besonders für Großstädter. Die Zigarettenstummel und zerbrochenen Bierflaschen im Gebüsch neben dem Spielplatz konnten einem früher eher egal sein – solange bis das ­eigene zweijährige Kind, triumphierend seine Beute schwingend, aus ebendiesem Gebüsch kriecht. Hundehaufen fand man natürlich nie prima, aber jetzt sind sie potenziell das Material, mit dem das Kind beim Frischluftspaziergang ein bisschen ­herummanscht.

Autos, Abgase, Lärm, Betrunkene, Müll, Partytouristen – all das, was früher als Teil des Lebens im urbanen Kiez klaglos ­akzeptiert wurde, was in Magazinen gern als „rauer Charme“ ­verkauft wird, macht Eltern plötzlich zu schaffen. Kinder, da sind sich alle einig, brauchen natürlich einen Garten! „Also ich möchte nicht, dass mein Kind hier aufwachsen muss“, sagte mir vor vier Jahren eine Kollegin, die ebenfalls schwanger war – und zog kurzerhand an den Ammersee, wo die Welt noch sehr viel mehr in Ordnung ist als in Berlin-Kreuzberg. Ich war ein bisschen beleidigt, schließlich war auch meiner Kollegin klar, dass ich vorhatte, meinem Kind diesen Moloch zuzumuten.

Ein altbekanntes Problem

Wo wollen wir in Zukunft wohnen? Und vor allem: Wie sollen wir das bezahlen? In den deutschen Großstädten explo­dieren die Mieten seit Jahren. Selbst in Berlin, wo es im Vergleich zu Hamburg, München oder Köln noch moderat zuging, haben Normalverdiener Probleme, eine bezahlbare Wohnung in den zentrumsnahen Bezirken zu finden. In unserem Freundeskreis überbietet man sich mit Geschichten von Wohnungsbesichtigungen, zu denen eine dreistellige Zahl von Interessenten erscheint, wo sich auch belauschen lässt, wie manche Bewerber ganz offen zur Bestechung des Maklers übergehen, um sich einen Platz ganz oben auf der Vorschlagsliste für den Vermieter zu sichern. Dessen knallharte Kriterien erfüllt oft ohnehin nur, wer sich durch seine Berufswahl oder mehr als zwei Kinder nicht einen Exotenstatus erarbeitet hat – und der außerdem fest angestellt ist.

Die Familie wird größer, die Wohnung enger. Unweigerlich taucht die Frage auf: Wollen wir in unserem sogenannten Szeneviertel wohnen bleiben, beengt, laut, nicht idyllisch, aber nur ein paar Hundert Meter zum nächsten Kino und zu Kneipen, Theater und Restaurants, die innen nicht aussehen wie eine Eisdiele aus den Achtzigerjahren? Oder ziehen wir in den Speckgürtel, vielleicht sogar in ein eigenes Haus mit Garten, dafür aber gezwungen zu einer halben Weltreise, wenn wir mal ins Theater wollen? Oder, dritte Möglichkeit: In der Stadt wohnen bleiben und ein Häuschen oder eine Datsche im Grünen suchen?

Ein Freund von uns, geborener Westberliner und nicht von dort wegzubekommen, macht sich öfters lustig über uns, wenn sich wieder mal eine Abendgesellschaft an dem Thema festgebissen hat. Er zitiert dann Tucholskys „Ideal“, er darf das als Westberliner: „Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn – aber abends zum Kino hast dus nicht weit.“

Stadtsoziologen prognostizieren für die Zukunft einen Run auf die Innenstädte – Normalverdiener werden immer mehr Probleme haben, sich dort Wohnraum zu leisten. Nicht nur die Mieten explodieren, auch die Kaufpreise. Niedrige Zinsen und keine Idee, was man sonst halbwegs Sicheres mit seinem Geld anstellen könnte, haben die Preise in die Höhe schießen lassen.

###autor###So entsteht in Berlin gerade eine Luxuswohnanlage nach der anderen – traumhafte Bedingungen auch für Investoren, die voll auf Profitmaximierung setzen und selbstverständlich kein Erbarmen haben mit Durchschnittsverdienern. Ein paar Hochglanzbroschüren lagen in den letzten Wochen im Briefkasten. Darin schöne Häuser, schöne Menschen und schöne Straßen. Es ist vom „urbanen Flair in dennoch absolut malerischer Lage“ zu lesen, und die Wohnanlage wird nicht so genannt, sondern „Wohnoase“. Die Bauvorhaben haben eigene Namen, die schön heimelig nach Gründerzeit klingen, „Anton und Charlotte“ oder „Gustav und Klara“. Oder der Name soll nach futuristischer Wohnutopie klingen, dann heißt das Projekt „The Garden“, und der Quadratmeter kostet 5000 Euro, das Penthouse noch viel mehr. Ganz normale, ein bisschen abgewohnte Altbauwohnungen in eini­germaßen bezahlbaren Preisklassen sind eine absolute Rarität.

Dass Menschen mit niedrigem Einkommen aus den Innenstädten verdrängt werden, ist schon lange ein Phänomen, das Stadtforscher beschreiben. Sie appellieren an die Politik, durch Maßnahmen wie sozialen Wohnungsbau und Mietbremsen ­etwas dagegen zu tun. Seit einiger Zeit ist auch die Mittelschicht betroffen. Mal mehr, mal weniger freiwillig ziehen Familien weiter nach draußen.

Ach was, einen Garten! Ein Eimer Sand und etwas Wasser tun es auch

Wo wir in Zukunft wohnen, bestimmt ja auch darüber, wie wir leben. Ich zum Beispiel habe Angst davor, in der Vorstadt zu versauern, ich fühle mich im Moment noch nicht alt genug dafür. Wer weiß, wie das in fünf Jahren aussieht. Ich bin in einem winzigen Dorf aufgewachsen und habe, seit ich 18 bin, immer in Städten mit mindestens drei Millionen Einwohnern gelebt, und in denen jeweils immer in der Mitte. Im Moment, glaube ich, könnte ich im Speckgürtel Beklemmungen kriegen.

Damit kein falsches Bild entsteht: Ich verbringe zurzeit die meisten Abende vor „House of Cards“ auf der Couch. Ein Job und zwei kleine Kinder sind für die Ausgehfrische ab 20 Uhr nicht gerade förderlich. Aber allein die Tatsache, dass ich ausgehen könnte, dass ich auf den Balkon trete und den Fernsehturm sehe am Horizont, dass ich am 1. Mai die Demonstranten vorbeimarschieren sehe, dass wir während der Fête de la Musique einfach nur vor die Tür treten müssen und dabei sind – das ist für mich im Moment noch sehr beruhigend.

Wie wollen wir leben, und was können wir uns leisten? Die Antworten auf diese Fragen müssen irgendwie miteinander kombiniert werden. Und dafür gibt es ein paar tröstliche Ansatzpunkte. Zum Beispiel den Professor für Nachhaltige Entwicklung von Stadt und Land, Mark Michaeli, der neulich in der „Süddeutschen Zeitung“ die urbane Enge pries und anregte, außer Küche, Bad und Schlafzimmer könne im Prinzip ja eigentlich alles ausgelagert werden – in die Waschküche, in Gemeinschaftsgärten, auf Spielplätze. Und darauf verwies, dass in Asien statt in einer eigenen Küche oft auf der Straße gekocht wird.

Weniger Platz, dafür aber auch weniger Miete, und die Innenstadt bleibt eine Möglichkeit. Der Bestsellerautor und Kinderarzt Remo Largo schreibt, wie toll es ist, wenn Kinder sich ein Zimmer teilen. Und vielleicht ist die fixe Idee mit dem Garten auch einfach nur die Sehnsucht nach einer Gartenzwerg-Idylle, die mit den Bedürfnissen der Kinder gar nicht so viel zu tun hat? Jedenfalls weiß jeder, der Kinder hat, dass man denen einen Eimer Sand und einen Eimer Wasser neben eine achtspurige Straße stellen könnte, und sie wären glücklich.

Stadtsoziologe Andrej Holm, angesprochen auf die prekäre Lage auf dem Berliner Immobilienmarkt, plädiert dafür, auch den Bezirken außerhalb des Zentrums eine Chance zu geben und deren Reize zu entdecken, zu viele seien zu sehr auf das Zentrum fixiert. Aber für die, die das partout nicht wollen, gibt es auch einen kleinen Hoffnungsschimmer: Vor einigen Wochen las ich den neues­ten Bericht zur Mietpreisentwicklung in Berlin: In den Innenstadtbezirken sind die Mieten zum ersten Mal seit langem ge­sunken – weil so viele weggezogen sind, die sich das Zentrum nicht mehr leisten können, und sich die Lage so ein bisschen entspannt. Vielleicht hilft es also auch, die Sache einfach auszusitzen.

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