Katharina Hacker
Dirk von Nayhauß
"Ich bin schüchtern, aber ich richte mich nicht mehr danach"
Sie ist schüchtern, na und? Katharina Hacker kümmert sich nicht mehr drum
Dirk von Nayhauß
15.12.2015

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Die großzügige, die erwidert wird, und für die habe ich ein Bild vor Augen. Der eine fragt: Bist du da? Der andere antwortet: Ja, hier bin ich – mehr nicht. Einfach nur dieser kleine Blick, der gar nichts weiter will. Das kann sich auch in Gesten ausdrücken. Wenn man mich rühren will, dann braucht man mir nur im ­rechten Moment eine Decke zu bringen.

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Ich bin im Grunde ein völlig verkrochenes Geschöpf. Früher ­dachte ich immer, ich gehöre nicht in die Welt – und wenn überhaupt, dann als Fremdling. Mit den Kindern ist mein Leben viel offener geworden, und die Welt ist mir überhaupt zugänglicher. Durch die Nähe und durch diese Direktheit, die man mit Kindern erfährt. Die beiden sind das Beste in meinem Leben. Meine Kinder und ich, wir freuen uns aneinander. Wir lachen viel, machen Unfug, toben, wir freuen uns einfach, dass wir uns sehen.  

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Ich tue mich schwer mit der zentralen Szene des Christentums – wie Jesus am Kreuz leidet. Den Gedanken, dass er unsere Schuld abbüßt, finde ich merkwürdig. Wenn ich mich auf Gott beziehe, dann eher in Dankbarkeit, schierer Dankbarkeit. Wenn ich die Kinder sehe. Wenn jemand zu Besuch kommt, über den ich mich freue. Oft auch Dankbarkeit darüber, noch nicht gestorben zu sein. Wenn ich draußen in der Natur bin: Die Pflanzen, Lichtverhältnisse, Vöglein – das freut mich. Sonst ist es oft so, dass sich im Kopf alles viel zu sehr drängt. Bin ich aber in der Natur, erfahre ich Momente völliger Geborgenheit.

Muss man den Tod fürchten?

Man kann lebenssatt sein. Das finde ich ein sehr einleuchtendes Wort. Man ist dann sozusagen mit seinem Leben im Tod und kann gut sterben. Ich würde gern noch länger leben, aber abgesehen davon, dass ich meine Kinder aufwachsen sehen möchte, gibt es nichts, wovon ich denke, das stehe noch aus, das stehe mir noch zu. Es kann einem ja immer was passieren, und dann wäre mein großer Wunsch an die Lebenden: Seid fröhlich, für mich ist es in Ordnung. Es gibt gute Tote, und ich möchte gern eine gute Tote werden. Meine guten Toten leisten mir nach wie vor Gesellschaft, sie sind präsent. Nicht immer und nicht physisch, aber sie begleiten mein Leben weiter. Das Gefühl, dass mir jemand, der doch gerade gestorben ist, auf die Schulter tippt, finde ich nicht erstaunlicher als das unglaubliche Glücksgefühl, wenn ich jemanden berühre, den ich liebe.

Wer oder was hilft in der Krise?

Kochen. Und natürlich das Schreiben, das ist meine Grundlage. Solange ich das, was mir zustößt, in Sprache fassen kann, fühle ich mich relativ sicher. In der Krise klumpen die Sachen aufeinander. Manchmal vergisst man wahrzunehmen, dass dieser Klumpen immer noch ein Geflecht ist mit inneren Beweglichkeiten. Das Schreiben zieht dieses Geflecht auseinander, man bekommt wieder ein Gespür für die Zwischenräume – wenn es gut läuft. Es kann aber auch passieren, dass man sich selber verliert, und das ist schrecklich. „Wenn wir uns selbst fehlen, fehlt uns doch alles“, schreibt Goethe in „Die Leiden des jungen Werther“. Das ist die kürzeste, prägnanteste Zusammenfassung von wirklich schwerer Depression. Ich weiß genau, was Depressionen sind, also richtig schwere Depressionen. Wie furchtbar das ist, wenn man nichts empfindet. Das Schlimme bei den Depressionen ist ja: Man ist nicht traurig, man ist komplett weg. Und danach ist man unglaublich glücklich, dass man wieder etwas empfindet!

Ist es wichtig, sich sicher zu fühlen?

Gefühle muss ich nicht so wichtig nehmen – jedenfalls nicht meine. Empfindungen sind echt überschätzt, die sind manchmal langweilig und oft kleinlich. Ich war neulich bei einem Abendessen, ich lief herum wie Piksieben; aber ich finde es nicht mehr schlimm. Früher hätte ich unter meiner Schüchternheit gelitten, und ich dachte, dass sie mit den Jahren nachlässt. Heute weiß ich: eher im Gegenteil. Ich bin heute genauso schüchtern wie eh und je – aber ich richte mich einfach nicht mehr danach. Ich muss mich nicht benehmen, wie ich empfinde. Beim Abendessen gucke ich: Wer steht noch allein? Und siehe da, es stehen viele allein, die wissen auch nicht, mit wem sie reden sollen, und zu denen gehe ich hin. Ich fühle mich ohnehin viel wohler mit Leuten, die sich auch nicht sicher fühlen. Das ist eine Seinsweise, die mir einleuchtet; letztlich leuchtet es mir nicht ein, stabil zu sein.

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Danke für das Interview über die Schüchternheit.
 
Meines Erachtens sehen es viele Menschen so,das sie sich schlecht fühlen,weil sie von der Gesellschaft für ihr bestimmtes Persönlichkeitsmerkmal negativ gespiegelt fühlen!
 
Die Evolution hat aber doch vorgesehen,das es solche Merkmale gibt....
 
Schöner wären doch Fragestellungen:Warum spiegel ich gewissen Persönlichkeitsmerkmale negativ....weis ich,was ich damit anrichte....will ich mir Vorteile verschaffen!?
 
Ich kann der Schriftstellerin nur beipflichten.Man oder frau muss nicht zu allem seinen Senf beigeben,nur um nicht gleich als nicht motiviert zu gelten.
 
Vielleicht finden Sie eines Tages ja auch mal die Möglichkeit,über Hochsensibilität zu berichten.
 
Nicht nur,das einige Probleme mit tropfenden Heizungsrohren haben sondern wie fruchtbar sie für Familie,Arbeitswelt...und?sein können,wenn ihre Stärken hervorgehoben werden und nicht ihre Schwächen!
Gilt eigentlich für alle P-Merkmale!
 
Ein gutes Neues Jahr!
 
Joachim Weiß, Hagen

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