Ehrenwert, aber rätselhaft
Aller Ehren wert – aber ein einziges Rätsel: der Politiker-Aufruf „Ökumene jetzt“
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
04.09.2012

 

„Ökumene jetzt – ein Gott, ein Glaube, eine Kirche“: Die Überschrift ist zweifellos das Beste an diesem Aufruf, der sich im Übrigen in theologischen Selbstverständlichkeiten  erschöpft und jede konkrete Handlungsperspektive vermissen lässt. Christliche Politiker aus der evangelischen und katholischen Kirche, unter ihnen Richard von Weizsäcker, Norbert Lammert und Wolfgang Thierse, sowie Kulturschaffende wie der Philosoph Hans Joas, der Bildhauer Günther Uecker oder der Journalist Günther Jauch fordern mehr Gemeinsamkeit zwischen den beiden Konfessionen. Recht haben sie. Aber diese Erklärung wird sie und ihre Kirchen dem ersehnten Ziel kaum näher bringen.

Ein "kühner Traum" oder lauter Selbstverständlichkeiten?

„Ökumene jetzt“, das klingt nach entschlossenem Handeln, nach dem Ende des Lavierens und Hinhaltens, vor allem auf der Seite der katholischen Kirchenspitze. Die Erklärung, eigentlich ein lobenswerter Vorstoß anlässlich des 50-jährigen Konzilsjubiläums Ende Oktober und der Lutherdekade, ist theologisch dürr und kirchenpolitisch wertlos. Was die Initiatoren als „kühnen Traum“ (so der Bochumer Pfarrer Gerald Hagmann im Evangelischen Pressedienst) präsentieren, ist eine Umschreibung von Selbstverständlichkeiten. Diesen Aufruf können, ohne sich im Geringsten zu verbiegen, auch erklärte Ökumene-Gegner und Konfessionalisten unterzeichnen. Denn sie enthält  theologisch Unstrittiges und erspart es sich, konkrete Schritte zur Einheit der Kirchen zu benennen.

„Ein Gott, ein Glaube, eine Kirche“: Den einen Gott bekennen alle Christen allsonntäglich, wenn sie das Glaubensbekenntnis sprechen. Der eine Glauben ist in der Heiligen Schrift zugrundgelegt. An die eine Kirche, die bekanntlich größer ist als die sichtbare Institution Kirche, glauben alle Christen (auch zu ihr bekennen sie sich im Credo). Gewiss, es ist gut und nützlich, sattsam Bekanntes zu wiederholen. Warum nicht auch jetzt aus Anlass der Jubiläen in beiden Kirchen?

Sich Sorgen machen, das geht. Aber bitte nicht vorpreschen!

Die Wahrheit ist konkret – das lässt sich in der Verkündigung und im Handeln Jesu bestens studieren. Menschen muss konkret geholfen, ihnen eindeutig Orientierung gegeben werden. Dieser Aufruf hilft nicht, sondern wirft Fragen auf. Was ist gemeint mit: „Es ist geboten, die geistliche Einheit (der Kirchen) auch sichtbar Gestalt gewinnen zu lassen“? Wer handelt? Wann und wo? In wessen Verantwortung?  Wie weit darf er/sie gehen? Konkret: Was ist mit der Teilnahme am Abendmahl der anderen Kirche? Was ist mit dem gemeinsamen Religionsunterricht für evangelische und katholische Schülern? Dürfen eines Tages - das wäre doch einmal eine Vision - evangelische Pfarrer katholische beim Gottesdienst vertreten und umgekehrt?

Ein Meisterstück an Unschärfe ist folgender Satz: „Wir können und müssen die Sorge um die Einheit der ganzen Kirche nicht ruhen lassen, bis eine theologische Einigung über das Amts- oder Abendmahlsverständnis zwischen den Kirchenleitungen erreicht worden ist.“ Nein, das will auch keiner: die Sorge (!) um die Einheit ruhen lassen. Man muss diesen Satz wohl so interpretieren: Sorgen machen, Gedanken machen darf sich die Kirchenbasis schon, aber bitte nicht handeln, schon gar nicht vorpreschen! Dass die Kirchenbasis da ganz anders denkt und handelt, nämlich konkret und lebensnah, zeigte schon vor einem Jahr eine online-Umfrage der angesehenen Monatszeitschrift „Herder-Korrespondenz“. Da stimmten nur knapp 27 Prozent der Befragten dem Satz zu: „Es müssen erst alle theologischen Differenzen überwunden sein, bevor Katholiken und Protestanten gemeinsam Eucharistie feiern.“ Die Ungeduld der Katholiken ist keine abstrakte Größe mehr. Christen handeln.

Gemessen an den Anlässen des Aufrufs „Ökumene jetzt“ sind deren Verfasser und Unterzeichner reichlich kurz gesprungen. Sie knüpfen an der emotionalen und kirchenpolitischen Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Reformation an, ohne eine einzige Festlegung für die nächsten ökumenischen Ziele zu treffen. Ökumenischer Jargon siegt einmal wieder über die konkreten kirchlichen Hoffnungen im Alltag.

Wie weit geht die Vision? Bis zur Zusammenlegung von Kirchenämtern und Generalvikariaten?

Das gilt nicht minder für die Kernaussage des Aufrufs: „Wie wollen nicht Versöhnung bei Fortbestehen der Trennung, sondern gelebte Einheit im Bewusstsein historisch gewachsener Vielfalt.“ Gelebte Einheit im Bewusstsein historisch gewachsener Vielfalt: Da darf gerätselt werden. Geht es um die Vereinigung von Gemeinden beider Konfessionen oder nur um Zusammenleben als freundliche Nachbarn? Geht es um die Zusammenlegung von Landeskirchenämtern und Generalvikariaten oder nur um gegenseitige Einladungen zum Jahresempfang? Geht es um die Aufstellung gemeinsamer Haushalte oder um eine punktuelle Zusammenarbeit in der Krankenhaus- und Militärseelsorge? Geht es um gemeinsame theologische Fachbereiche an den Universitäten oder nur um die gemeinsame Benutzung der Bibliotheken? „Gelebte Einheit“: das reicht vom freundlichen Umgang miteinander bis zum Zusammenleben und zur Fusion der Strukturen.

Wer die Rivalität von katholischen Bischöfen und die Fusionsschwierigkeiten bei den Landeskirchen beobachtet – also Blockaden innerhalb der eigenen Konfessionen -, dem erscheint der Aufruf zur „gelebten Einheit“ der Konfessionen als ehrenwert, aber irgendwie hilflos.

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Visionen haben stets einen subjektiven Charakter und dienen als beeinflussende Führungsinstrumente zur entscheidenden Veränderung bestehender Zustände.

Diese Vision ist nichts anderes, als eine billige Strategie. Da wollen ein paar Promis die Führung übernehmen und dem Heiligen Geist vorschreiben, in welche Richtung er gefälligst wehen soll.

Das Sommerloch hätte man auch anders füllen können! Anstatt rästselhafte Visionen zu verkündigen hätte man wohl besser den Gegenpol thematisiert. Raus aus der Krise! Jetzt!

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Den Aufruf „Ökumene jetzt“ vom 5. September 2012 habe ich gern unterschrieben, obwohl ich ein äußerlich dominierendes Element grauslich finde. So geht mir die Sache zwiespältig durch den Kopf:

Uneingeschränkt zustimmen kann ich der Forderung, dass eine „gelebte Einheit im Bewusstsein historisch gewachsener Vielfalt“ realisiert werden sollte (und damit keine Aufhebung der konfessionellen Besonderheiten). Zwar halte ich es für unrealistisch zu meinen, man könne dies unter den institutionell gegebenen Umständen erreichen, aber dass sich viele Einzelne für dieses Ziel aussprechen und sich mit unterschiedlichen Konsequenzen auch danach verhalten dürften, ist sehr sinnvoll. Sie geben damit zu erkennen, dass ihnen an den Einstellungen der kirchlichen Obrigkeit und an theologischen Vorbehalten, für Wolfgang Thierse „Spitzfindigkeiten“, weniger liegt.

Abstoßend finde ich jedoch die plakative Überschrift: „… ein Gott, ein Glaube, eine Kirche”. Dieses Motto lässt gerade kein Gespür für Vielfalt und für die notwendige Subjektivität des Glaubens erkennen, keines auch für die belastenden Assoziationen dieser Monokratieformel. Hier schlägt sprachlich eine Naivität durch, die bei Befürwortern wie Gegnern des Aufrufs Missverständnisse fördert, jedenfalls der übrigen Tonlage entgegensteht.

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Der Aufruf ist lobenswert. Hervorzuheben ist auch die vertrauensvolle Zusammenarbeit der evangelischen und katholischen Gemeinden vor Ort. Die funktioniert in aller Regel. Solange aber Herrn Ratzinger eine Handvoll Antisemiten wichtiger für die Einheit der Kirche sind als ca. 24 Millionen evangelische Christen, werden alle Papiere, und seien sie noch so gut gemeint, Makulatur bleiben.
Und die evangelische Kirche sollte auch im Jahre 2017 Martin Luther nicht verraten sondern selbstbewusst an einen Jahrestag erinnern, an dem im Jahre 1517 Luther gegen alle Widerstände versucht hat, die Kurie und den höheren Klerus auf den zur Nachfolge von Jesus Christus zurückzuholen. Wie wir heute nach 500 Jahren wissen, ist ihm dies nicht gelungen.

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Lieber Kommentator! Ich frage mich, für wie dumm Sie die Erstunterzeichner halten. Ich finde es beruhigend, dass es so kluge Leute wie Sie gibt, die alles und alles besser wissen. Schon lange habe ich den von Ihnen bevorzugten Feldwebelstil nicht mehr erlebt. Wohin ist eigentlich der evangelische Journalismus geraten, dass er ohne jede Fairness und Empathie Menschen mit ihren Aussagen und Intentionen so niedermacht?

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Sehr geehrter Herr Kopp,

schön, dass Sie den Aufruf gelesen haben. Frage nur: Was tun Sie, z.B. in der Zeitschrift, als deren Herausgeber Sie fungieren, konkret für die Ökumene? Die Dinge kritisch zu betrachten ist in einem offenen Diskurs unverzichtbar, aber ich frage mich bei der Lektüre von Chrismon sowie Ihres Buches immer häufiger, ob es zur Wahrheitsfindung - ganz zu schweigen zum konkreten Zusammenwachsen - beitragen kann, wenn Sachverhalte nicht differenziert, sondern polemisiert und überkommene Positionen und Vorurteile über die "andere Seite" (hier: die katholische Kirche) zementiert werden. Diesen Rückfall in alte kontroverstheologische Zeiten kennt man eigentlich nur von erzkonservativen katholischen wie evangelischen Repräsentanten.

Mich würde - als Gedankenspiel - einmal interessieren, ob Sie auf das visionäre Buch von Karl Rahner/ Heinrich Fries, " Einigung der Kirchen - reale Möglichkeit" von 1977 genauso reagiert hätten. Damals hätten Sie sich dadurch in eine Reihe gestellt mit einem gewissen Kardinal Joseph Ratzinger, der den Autoren - anerkannte Kapazitäten ihres Faches - ähnliche Vorwürfe gemacht hat wie Sie den Initiatoren der Ökumene-Initiative jetzt.

Ihr neuester Artikel gibt sich einen kritischen Anstrich, trägt aber zur eigentlichen Sache nichts bei.

Chance verpasst - schade!

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Natürlich ist die Überschrift des Aufrufes plakativ (das ist ja auch nicht schlimm, denn er soll ja auch Aufmerksamkeit erzeugen und gelesen werden). Aber ist es nicht so, dass vielleicht gerade der von vielen (vor allem von Theologen) als "oberflächlich" kritisierte Text die Masse der Gläubigen (sowohl katholisch wie evangelisch) eher erreicht, als diverse theologische Erklärungen und Verklausulierungen, die vielfach wenig nachvollziehbar und unverständlich erscheinen? Viele von uns mußten mit dieser Kirchentrennung groß werden - eine Sache, die nicht nur mich immer und immer wieder auch am eigenen Glauben zweifeln ließ.Natürlich gibt es Differenzen und Unterschiede. Ich bin mir auch darüber im Klaren, dass die röm.-kath. Kirche eine Weltkirche ist, in der Änderungen schwieriger realisierbar sind, als bei den sehr vielfältigenden evangelischen Gemeindestrukturen. Natürlich ist in den letzten Jahren sehr viel in der Ökumene erreicht worden-keine Frage! Aber vor allem wir, die wir z.B. in konfessionsverbindenden Familien leben oder über einen sehr, sehr großen Freundeskreis der jeweiligen anderen Konfession haben, fragen uns doch schon seit Jahren, wieso die "normalen" Gläubigen und viele Theologen solch unterschiedliche Sprachen sprechen. Die Differenzen, die so häufig als wesentlich angesprochen werden (Eucharistie/Abendmahl, Weihefrage,Realpräsenz) haben im täglichen Miteinander von evang. und kath. Christen kaum eine Bedeutung und nicht erst einmal frage ich mich, ob ich an einen Gott glaube, der z.B. die Qualität seiner Hirten davon abhängig macht, von wem sie geweiht oder ordiniert werden oder etwa an einen Gott, der mich in der Kirche A an seinen Tisch lädt und 300 Meter weiter entfernt in Kirche B davon nichts mehr weiß? Nein, an diesen Gott möchte ich auch nicht glauben und es wird auch immer schwieriger- wenn nicht sogar unmöglich, soetwas z.B. seinen Kindern zu vermitteln. Zumal es auch in der röm.-kath. Kirche viele Geistliche (auch Bischöfe) gibt, die diese Problematik begreifen und ein z.T. sehr vorbildliches verantwortliches pastorales Tun und Handeln praktizieren. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass manche Theologen diese Aktion aus ihrem eigenen Blickwinkel sehen aber die Aktion Ökumene jetzt läuft in meinen Augen eben nicht ins Leere, weil hier auch endlich mal christliche Politiker aller Couleur,Künstler, Sportler und andere Prominente in Einheit den Nerv ganz vieler Gläubiger getroffen haben. Bedenkenträger gibt es sicherlich genug, lasst uns also die durchaus positive und optimistische Botschaft von "Ökumene jetzt" nicht zerreden und diese als Anlaß nehmen, weiterhin mit unseren röm.-kath. Mitchristen am gemeinsamen Ausbau unserer Kirche(n) gewissenhaft weiterzuarbeiten und uns hierbei auch an einem schönen Zitat von Johannes Paul II. leiten lassen "Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen auf der Welt gibt"

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Ich bin ja wirklich ein friedfertiger Bürger. Aber um in Frieden mit Andersgläubigen leben zu können, muss ich nicht gleich ihre Götter anbeten. Der Protestantismus sollte auf der Bibel basieren, der Grundlage des wahren christlichen Glaubens (sola scriptura). Aber der Katholizismus hat nicht viel mit der Bibel zu tun. Die römisch-katholische Kirche ist eher die Institution des heidnischen Sonnengottes.

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Als meine Eltern 1930 heiraten wollten, gab es Komplikationen, da meine Mutter katholisch und mein Vater evangelisch war. Die katholische Kirche verlangte für die Trauung für meine Eltern unerschwinglich viele Kronen, daraufhin ließen sie sich evangelisch trauen.

Meine Eltern wohnten in einem Wallfahrtsort in der heutigen Tschechei, wo Priester und Ordensschwestern ausgebildet wurden. Eine dieser Ordensschwestern setzte sich dafür ein, dass meine Eltern 3 Jahre später katholisch getraut wurden.
Als ich 1953 meine Erstkommunion erhielt, war am Nachmittag im elterlichen Wohnzimmer zum Kaffee geladen. Es kam der katholische wie auch evangelische Pfarrer.

Als meine Eltern zur Silbernen Hochzeit den Segen erwünschten, gab es von der Kirche keine Schwierigkeiten. Leider stimmte der katholische Pfarrer zur Goldenen Hochzeit nicht zu, die Einsegnung von katholischer als auch evangelischen Seite zu erhalten.

Ich finde es sehr schade, dass es diesen zwei Menschen nicht ermöglicht wurde, den Segen von beiden Kirchen zu erhalten!

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