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Niedliches Legoland? Von wegen!
Auch in Dänemark tun sich Abründe auf. Ein Gespräch mit Thriller-Autor Jussi Adler-Olsen
Tim Wegner
Lena Uphoff
13.01.2011

Chrismon: Herr Adler-Olsen, was fasziniert Sie an Mördern?

Ich bin Anfang der 1950er Jahre in einer psychiatrischen Klinik aufgewachsen, in der mein Vater als Psychiater tätig war. Meine besten Freunde waren Geisteskranke. Ich lernte einen sehr sympathischen Patienten kennen, der allerdings seine Frau umgebracht hatte. Ein netter kleiner Mörder, sagte mein Vater immer. Damals war ich sechs Jahre alt. Seither denke ich darüber nach, wo das Böse herkommt.

Mörder hatten oft eine schwierige Kindheit.

Das ungeliebte Kind ist die gängigste Erklärung für das Böse. Ich kenne aber auch Mörder, die als Kind geliebt und umsorgt wurden. Vielleicht nicht mit genügend Empathie? Als Eltern können wir nur hoffen, dass wir mit unseren Kindern alles richtig machen. Um gute Menschen zu werden, brauchen wir Liebe, Fürsorge und Mitgefühl. In Dänemark haben wir viele, die das nie erfahren. Und dafür ist auch unsere Gesellschaft verantwortlich.

Wir stellen uns Dänemark ja als niedliches Legoland vor ...

Ein schönes Urlaubsland, stimmt. Aber in den vergangenen zehn Jahren hat sich viel verändert. Wir haben Einwanderer so schlecht behandelt, dass wir uns über bestimmte Entwicklungen nicht wundern brauchen. Die sozialen Gräben in der Gesellschaft werden tiefer. Die Zahl der Gewalttaten hat stark zugenommen. Es gibt Ecken in Dänemark, in die ich nachts niemanden allein hinschicken würde. Ich bin ein politischer Mensch – auch ein Grund, warum ich heute schreibe.

Ob soziale Sicherung, Frauenrechte oder Bildung: Skandinavien gilt doch immer als vorbildlich.

Im Vergleich zu Bangladesch mag das stimmen. Im europäischen Vergleich ist es bei uns wie überall auch: Der Einfluss des Staates wird zurückgedrängt. In der Folge werden zum Beispiel das Gesundheitssystem und die Ausstattung der Polizei schlechter. Vieles hat sich verändert. Aber wir wollen das wieder ändern.

Wer ist wir?

Damit meine ich diejenigen, die sich als „echte Liberale“ verstehen. Wir wollen, dass alle am Fortschritt teilhaben und nicht nur eine kleine privilegierte Gruppe. Wir sind mehr als 50 Prozent – eine gute Basis.

In Deutschland wird die Sicherheitsverwahrung kontrovers diskutiert. Darf man Mörder für immer wegsperren?

Bei uns in Dänemark praktizieren wir das System, dass viele psychisch Kranke mitten in der Gesellschaft leben …

… was auch in Deutschland als vorbildlich erachtet wird.

Aber das funktioniert nicht. Mein Vater war ein kluger Mann, er sagte: Die Gesellschaft ist für viele Menschen der größte Feind. Sie werden in Kliniken auf das Leben draußen vorbereitet – und kommen doch bald wieder in die Klinik zurück. Ich glaube, für viele Menschen wären Kliniken sinnvoll, in denen sie ein Leben lang bleiben dürfen. Viele Psychopathen haben keine Angst, wieder eingesperrt zu werden. Drinnen fühlen sie sich sicher und gut. Draußen sind sie mit der Gesellschaft konfrontiert. Da ist die Gefahr größer, dass sie wieder morden. Wir sollten es nicht drauf ankommen lassen.

Sie spielten in der dänischen Friedensbewegung eine führende Rolle. Schreiben Sie auch deshalb heute Thriller?

Das war für mich die ideale Vorbereitung als Autor. Ich habe viel darüber gelernt, wie Menschen Böses tun. Friedenaktivisten müssen die hartgesottetsten Menschen sein. Du kämpfst um deine Rechte und hast mit den Militärs den härtesten Gegner überhaupt. Du musst dich in solche Menschen hineindenken. Was gibt es Schlimmeres als Kriege vorzubereiten? Man kann nicht für den Frieden kämpfen, wenn man vom Bösen nichts versteht.

Um für Frieden zu kämpfen, ist also auch die bösartige Seite in einem selbst wichtig?

In der Friedensbewegung traf ich viele sogenannte Gutmenschen. Aber das reicht nicht! Ein einfaches Beispiel: In den 80er Jahren war es wirklich hart. Wenn wir in Kopenhagen auf dem Rathausplatz demonstrierten, konnte ich 110.000 Demonstranten zählen. Doch die Zeitung „Politiken“ schrieb am nächsten Tag, es seien nur 12.000 gewesen. Viele meiner Freunde fühlten sich betrogen und weinten. Ich nicht. Ich wurde immer wütender. Und ich brauchte diese Kraft. Ich wusste jetzt: Unsere Gegner sind nicht nur die Politiker und Russen, sondern auch die Zeitung. Mein Ziel war immer, die Pazifisten aller politischen Couleur zusammenzubringen.

In Ihren Thrillern geht es häufig um Schuld und Vergebung. Lassen Sie sich auch von der Bibel inspirieren?

Nein. Ich bin zwar von gläubigen Eltern erzogen worden. Und in Jydland im Norden Dänemarks ging es in den 1950er Jahren sehr fromm zu. Aber meine Religion ist nicht an eine Kirche gebunden. Ich würde eher sagen, dass ich einen direkten Draht nach oben habe. Manchmal denke ich, die Art, wie einige Menschen Gott anbeten, ist ein Problem für Gott und diese Menschen.

Wie meinen Sie das?

Gott ist zu groß, um ihn anzubeten.

Wir sehnen uns nach Frieden und Harmonie. Trotzdem sind Geschichten über Mord und Totschlag beliebt. Was fasziniert uns an Krimis?

Wir haben eine helle und dunkle Seite in uns – eine faszinierende Dualität. Beim Lesen von Krimis entdecken Sie diese dunkle Seite in sich. Ich spare beim Schreiben ja viele Details aus. Die fügen Sie als Leser mit ihrer Fantasie hinzu – das ist aufregend.

Ihre Thriller wirken fast noch gewalttätiger als die von Henning Mankell oder Stieg Larsson. Müssen die Geschichten immer brutaler werden, um noch Aufmerksamkeit zu erlangen?

Bücher von Mankell oder Larsson habe ich nie gelesen. Ich bin da eher vom Film geprägt. Weder beschreibe ich Grausamkeiten, noch brutale Einzelheiten. Diese ganze Gewalt findet in dem Kino im Kopf der Leser statt. Was mich interessiert, ist: Wie kommt es dazu, dass das Böse sich im Handeln Einzelner Bahn bricht – bei anderen nicht.

Aber der zweite Band der Carl-Mörck-Reihe „Schändung“ ist deutlich brutaler als der erste Band „Erbarmen“.

Das wirkt nur so. Im zweiten Band geht die Brutalität von Seiten der vermeintlich sicheren Welt aus. Es sind die Reichen und Schönen, die grausam sind. Diese Arroganz der Erfolgreichen empört uns. So etwas wirkt viel brutaler, als wenn ich einen Täter aus der Unterschicht schildere. Meine Inspiration dafür war übrigens ein schlichtes Wort: Fasanentöter. Als Kind schon haben mich in den Magazinen die Fotos von Jagdgesellschaften angeekelt, bei denen diese toten Fasanen auf der Wiese lagen. Hier geht es nicht um Jagd an sich, sondern um Oberschichten-Gebahren. Diese Arroganz habe ich schon als Kind gehasst.

Beim Schreiben hören Sie Musik – Mozart oder Heavy Metal?

Eher Mozart. Am liebsten aber Filmmusik. Rachel Portman zum Beispiel, die „Gottes Werk und Teufels Beitrag (Cider House Rules)“ und „Emma“ komponiert hat. Meinen vierten Krimi schrieb ich zu der Musik zum Film „Mission“ von Ennio Morricone. Jedes Buch hat eine Musik.

Beeinflusst die Musik dieser Filme ihre Geschichten?

Nein. Wenn ich richtig müde oder mies drauf bin, esse ich dänischen Lakritz. Dann geht’s mir wieder richtig gut. Mit der Musik geht es mir ähnlich. Ich suche offene Symphonien – wie etwa die von Mozart. Bei seinen Kompositionen fehlt immer eine Stimme, die man sich dann im Kopf dazudenken muss. Er ließ ja mit Absicht in seinen Partituren eine Linie weg. Und weil eben diese Zeile fehlt, kann man Mozart endlos hören, ohne müde zu werden. Das will ich auch beim Schreiben umsetzen: Der Leser muss seine Stimme ergänzen.
 

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Als Musiker, der sich seit Jahrzehnten u.a. intensiv mit Mozart beschäftigt, überrascht mich Herrn Adler-Olsens "Wissen", dass "Mozart ja mit Absicht eine Linie (gemeint ist eine Notenzeile ?) in seinen Partituren wegließ". Woher hat er diese Geheimkenntnis? Auf dem vorrastrierten Papier, das Mozart (wie alle Komponisten der Zeit) verwendeten, bleiben öfter mehrere Notenzeilen frei, schlicht, weil sie in Serie vorbereitet und für die aktuelle Niederschrift nicht alle gebraucht wurden. Dahinein so etwas abwegiges wie eine fehlende Stimme zu deuten, ist schon sehr "schräg". Da vermischt Adler-Olsen Realität und Fiktion aufs heftigste. Das stellt dann natürlich auch seine anderen Aussagen sehr in Frage: Ist er da mit der Wahrheit auch derart beliebig ? Jedenfalls: Bei keinem Mozart-Werk fehlt irgend etwas, das man sich erst dazu denken müsste.
Auch wirkt der Vergleich von sich selbst mit einem der größen Genies der Menschheit doch etwas sehr arrogant. Hier wäre wieder einmal eine heute leider so abhanden gekommene Tugend angebracht: Demut !

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