Maren Amini
"Das ist wie lüften"
Glaubenskurse sind eine Entdeckungsreise, für Neugierige und Skeptiker. Auch für die Gemeinden: Sie laden kirchenferne Menschen ein und lernen sich dabei selbst besser kennen
Lena Uphoff
18.10.2011

„Kirchenferne haben oft ein schlummerndes Interesse an Glaubensfragen“, sagt Andreas Schlamm. Der Referent vom Amt für Missionarische Dienste (AMD) in Berlin leitet seit 2009 das Pro­-jekt „Erwachsen glauben“ und hat für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die bundesweite Kampagne „Kurse zum Glauben“ entwickelt. Dabei hat Andreas Schlamm auch mit Gemeinden zusammen­gearbeitet, die solche Kurse schon länger an­bieten. Sie stellen gerade bei Teilnehmern, die sich von der Kirche ent­­fremdet haben, ein Nachholbedürfnis fest. „Die Kirchenfernen merken, dass der Glaube etwas mit ihrem Alltag zu tun hat und ihnen Orientierung gibt“, sagt Schlamm.

Außerhalb von Kirchenkreisen sind Glaubenskurse jedoch kaum bekannt. Und in Gemeinden mangelt es in der Regel an Angeboten für die sogenannte „vergessene Mitte“ – Menschen, die im Berufs- und ­Familienleben stark eingebunden sind. ­Erwachsene, denen sich im Alltag grund­legende Fragen stellen und die gerne mit anderen darüber reden würden: Ist ein Seitensprung Sünde? Soll ich mein Kind taufen lassen? Was kommt nach dem Tod?

Wie drückt sich Glaube im Alltag aus?

„Glaubenskurse sind ein offenes Angebot, die Dauer ist begrenzt, die Teilnehmer sind zu nichts verpflichtet“, sagt Schlamm. „Die Leute wollen keine theologischen Belehrungen hören“, ist seine Erfahrung. Sie möchten Lebensgeschichten und Erfahrungen auszutauschen; und sie möchten herausfinden, wie sich Glaube im Alltag ausdrückt.

„Glauben kann man nicht lernen“, meint Andreas Schlamm. So ein Kurs kann aber ein Katalysator sein, der bei den Teilnehmern Prozesse in Gang setzt, die womöglich zum Glauben führen. Die Studie „Wie finden Erwachsene zum Glauben?“ (2009) hebt eine besondere Rolle dieser Kurse hervor, weil sie Kirchennahe ebenso ansprechen wie Kirchenferne: Aktive Gemeindemitglieder vertiefen ihre Kenntnisse und vergewissern sich ihres Glaubens. Wer mit der Kirche schon lange nichts mehr zu tun hatte, kann den Glauben neu entdecken. Wem Religion fremd ist, der kann hier Antworten auf seine Fragen finden und seinem Leben vielleicht eine neue Richtung zu geben.

Die Gemeinde als gastfreundlicher Lernort

Anfang 2011 hat die EKD die Kampagne „Kurse zum Glauben“ gestartet. In den ­Gemeinden soll dieses Bildungsangebot für Erwachsene bald so selbstverständ­lich sein wie Konfirmandenuntericht. Das ­Portal www.kurse-zum-glauben.de bietet auch einen nichtöffentlichen Bereich, wo Haupt- und Ehrenamtliche ihre Erfahrungen austauschen können. Als Arbeitsgrundlage wurde das Handbuch „Erwachsen glauben“ aufgelegt. Es enthält das Rüstzeug zu neun bewährten Kursen. Bei „Spur 8“ zum Beispiel liegt der Schwerpunkt beim Vermitteln christlichen Grundwissens. Der Kurs „Stufen des Lebens“ setzt darauf, Themen des Alltags mit biblischen Geschichten zu veranschaulichen. „Expedition zum Ich. In 40 Tagen durch die Bibel“ setzt stark auf offene Gespräche und Diskussionen.

Wie gewinnt man ausgerechnet die Menschen für einen Glaubenskurs, die der Kirche bisher fern blieben? „Indem Gemeinden gastfreundliche Lernorte des Glaubens sind“, sagt Andreas Schlamm, „und genau hinschauen, was für Leute im Umfeld ihres Kirchturms leben.“ Beim ­Planen helfen Erkenntnisse aus der Sozialwissenschaft. Das Handbuch „Erwachsen glauben“ greift zehn Milieutypen des Sinus-Instituts auf, die Lebenswelten der Bundes­bürger beschreiben.

"Für alle, die nicht alles glauben"

Wohnen im Bereich der Gemeinde überwiegend bildungsferne „Konsum­materialisten“, die gern Sat 1 schauen und Mediamarkt-Kunden sind? Oder eher akademisch gebildete „moderne Performer“, die Arte einschalten und im Fachgeschäft einkaufen? Die Einladungen können auf die jeweiligen Personenkreise zugeschnitten werden. Zum Beispiel mit Plakatwerbung im Stadtteil. Die Projektstelle stellt Motive zur Verfügung mit Botschaften wie: „Für alle, die nicht alles glauben“, „Für Skeptiker“ oder „Für alle, die schon kleine Wunder erlebt haben“.

Konsummaterialisten haben meist Hauptschulabschluss, sind an Mode, Spaß und Unterhaltung interessiert. Häufig ­haben sie Probleme bei der Jobsuche, Schulden oder Stress in der Beziehung. Eine Gemeinde könnte Halt und Lebenshilfe bieten. Für Konsummaterialisten wäre der Kurs „Stufen des Lebens“ geeignet, der  wie ein Religionsunterricht für Erwachsene ist. Die Kurse behandeln Themen wie „Liebe ist nicht nur ein Wort“, „Alles hat seine Zeit (Josefsgeschichte)“ oder „Durch Krisen ­reifen“. An vier Abenden werden Bibelgeschichten mit Bildern und Gegenständen erzählt und dann zu den Biografien der einzelnen Teilnehmer in Beziehung gesetzt.

Pilotprojekt in Heidelberg

„Moderne Performer“ sind jung, neu­gierig und leistungsorientiert. Karriere ist ihnen wichtig. Sie wollen sich selbst verwirklichen und reflektieren ihr Leben. Aus den verschiedensten Weltanschauungen greifen sie das heraus, was sie gut finden. Es sind Menschen, die sich in einer Gemeinde – wenn überhaupt – eher projektbezogen engagieren. Für dieses Milieu ­wäre „Expedition zum Ich“ geeignet, weil der Kurs viel Raum zur Selbstreflexion lässt. Das Begleitbuch ist in einer modernen und anspruchsvollen Sprache geschrieben. Es eignet sich auch zum Selbststudium.

Wie erfolgreich sind Kampagnen, die sich gezielt an bestimmte Milieus richten? Das wird in einem Pilotprojekt untersucht. Modellregion sind die beiden benachbar­ten Kirchenbezirke Heidelberg und Weinheim-Ladenburg. 13 Gemeinden begleitet das Sinus-Institut beim Planen, Umsetzen und Auswerten von Glaubenskursen. Im Herbst 2012 soll der Abschlussbericht vorliegen.

Langer Atem nötig

Pfarrer David Reichert von der Lutherkirche in Heidelberg verspricht sich viel von dem „milieusensiblen“ Ansatz. Sein Stadtteil ist im Wandel begriffen. Die Fluktuation unter den 2100 Gemeindemit­gliedern nimmt seit fünf Jahren zu. Neue Singlehaushalte, die Mieten steigen. Familien ziehen weg, auch die kirchentreuen Älteren werden weniger. „Dafür haben wir mehr interessierte Nichtkirchler“, stellt ­David Reichert fest. Die möchte er besser kennenlernen und zu Glaubenskursen einladen. Das wäre ein erster Schritt. Früher oder später, hofft David Reichert, bringen sich Menschen in die Gemeinde ein, die das bislang noch nicht gemacht haben.

Dazu ist langer Atem nötig, weiß An­dreas Schlamm. Erfahrungen zeigen: Außenstehende kommen in größerer Zahl erst ab dem dritten Kurs hinzu – in der Regel durch persönliche Empfehlungen. „Aber die Kurse sind auch für die Gemeinde selbst“, sagt Andreas Schlamm. Ob Moderation, Technik oder Bewirtung: Beim Organisieren der Kurse ergeben sich Möglichkeiten für ehrenamtliches Engagement. Diskussionen mit kirchenfernen Skeptikern fördern die  Sprachfähigkeit der Gemeindemitglier in eigenen Glaubensfragen. „Das ist wie lüften“, findet Andreas Schlamm. „Wenn frische Luft reinkommt, verbessert sich das Binnen­klima.“

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